Die Freifliegerin Ein Hexenthriller (German Edition)
oben
taucht bereits der Umriss der Sennerhütte in der Abenddämmerung auf. Alois ist
froh, dass er es noch vor Einbruch der Dunkelheit geschafft hat, hier herauf zu
kommen.
Diese Sennerhütte kennt er sehr
gut, denn er hat hier schon oft übernachtet, wenn er mit dem Johann, und
manchmal auch mit seinem Vater, auf der Jagd war. Der Johann war ein gerissener
Jäger, von dem er viel gelernt hat. Auch das Schießen hat er vom Johann. Hier
oben haben sie oft Schießübungen gemacht, auf Steine, leere Bierdosen und
Flaschen. Obwohl das eigentlich hier verboten ist, denn es ist kein befriedetes
Grundstück, und die Knallerei konnte man bis tief ins Tal hinunter hören. Aber
in einem ländlichen Ort wie Dirnitz macht das nicht so viel. Die Leute hier
sind allesamt mit der Jagd aufgewachsen. Alois wurde zu einem phantastischen
Schützen. Bei den Gendarmeriewettbewerben hat er immer einen guten Platz
erreicht, zweimal bisher war er sogar bester Schütze im
Kleinkaliber-Wettbewerb.
Er liebte auch schon immer die
ganzen Jagdrituale: Das Aufsteigen in den Wald, die Pirsch, den Hochstand, den
Geruch des Luderplatzes, die Fuchsjagd, das Ausweiden des Rotwildes. Er liebt
es, wenn das Reh, dem Tode ergeben, daliegt, und er den Fichtenzweig zwischen
seine Zähne schieben kann. Davon hat er ganze Fotoalben.
Er liebt überhaupt jede Art des
Ihm-ausgeliefert-Seins. Hauptsächlich von Frauen, seltener auch von Kindern. Er
träumt manchmal in seinen Tagträumen davon, dass er Frauen, an einem Fuß oder
einem Arm der Reihe nach auf eine Art Wäscheleine hängt. Dort müssen sie hängen
ohne ein Wort zu sagen oder gar zu weinen. Weinen ist ganz schlecht. Wenn eine
weint, wird sie exekutiert, und eine andere wird hingehängt. So stellt er sich
das vor. Und alles muss nach ganz peniblen Regeln ablaufen. Das geringste
Abweichen von diesen Regeln wird mit drakonischer Strenge bestraft. Natürlich
ist das alles gar nicht so einfach, wenn man es wirklich machen wollte. Er hat
darüber schon sehr genau nachgedacht. Wenn man ein paar Frauenkörper auf eine
noch so dicke Leine hängt, wird sie sich schon bald bis zum Boden durchhängen.
Das wäre nicht schön und zerstörte die ganze Ordnung. Man müsste schon dicke
Stahlseile verwenden und einen Haufen Stützen. Aber dann gäbe das ein sehr
züchtiges Bild: Je eine mit einem weißen Kleid und eine mit einem schwarzen
Kleid. So hängen sie da. Und es ist still. Wirklich totenstill. Und er, Alois,
geht nur auf und ab, mit seiner Reitgerte und seinen schwarzen Reitstiefeln.
Und er achtet penibel darauf, dass es die ganze Zeit über absolut still bleibt.
Er schaut in ihre bittenden, schmerzgeweiteten Augen. Und wenn er es könnte, er
würde sogar ihre Gedanken kontrollieren und sie gerade biegen, genau so, wie er
sie haben will. Er weiß, wie schmerzvoll und peinlich dieses Hängen schon nach
kurzer Zeit wird. Wie schön es dann für seine Opfer wäre, wenigstens stöhnen
und klagen zu dürfen. Aber auch schon ein leises Seufzen oder Schmerzstöhnen,
sogar zu lautes Atmen würden sofort bestraft.
Früher hätte er während einer
solchen Fantasie bestimmt onaniert, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Heute
versucht er, dies möglichst selten zu tun. Lieber will er die Spannung halten,
in diese Gefühle hinein atmen, sie ganz und gar in sich aufnehmen und auf lange
Zeit ausdehnen. Außerdem gibt es eine hässliche Komponente bei dieser Fantasie:
Was soll er mit den ganzen Frauen nach dem Ritual anstellen? Er kann sie ja
nicht alle danach umbringen! Er müsste sie wieder frei lassen, und das ginge
nicht. Also blieb das alles bis jetzt reine Fantasie. Doch jetzt hätte er die
Chance gehabt, etwas Ähnliches wenigstens mit einer Frau zu machen. Aber
er hat durch seinen Jähzorn und seine Dummheit die Chance verpasst. Oder doch
noch nicht? Gefällt ihm die Hexe überhaupt? Sie ist durchaus hübsch und dürfte
auch klug sein. Eine große Rolle spielt das normalerweise nicht in seinen Tagträumen.
Da gibt es auch viele hässliche, trampelhafte und dumme Frauen, die er
unterwirft und bei denen er besonders drakonisch zu Werke geht. Ja gerade sie
sind es eigentlich, die ihm die meiste Befriedigung verschaffen. Manchmal sind
es ganze Reihen solcher Frauen, denen er seine wunderbare klare Ordnung
eindrillt und die er hernach in seiner Fantasie ausbläst, wie die Lichtlein
kleiner Grabkerzen.
Dann liegen sie da und er
schiebt ihnen, einer nach der anderen, Tannenzweige zwischen die Zähne.
Weidmanns
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