Die Frequenz: Thriller (German Edition)
zu.
Helena verkrampfte die Finger um die Armlehnen. Sie hatte das Gefühl, brutal auf und nieder zu gerissen zu werden. Dann war die Vision schlagartig vorbei. Sie machte die Augen auf und schaute sich ängstlich um. Zum Glück waren alle mit Essen beschäftigt. Helena sprang von ihrem Sitz auf und lief zum gegenüberliegenden Fenster. Wilson war nah – sie konnte es spüren. Da, in der Ferne, lag die Insel, auf die er zuhielt. Sie suchte mit Blicken das Wasser ab. Kein Segler war zu sehen. Er musste direkt unter ihnen sein.
»Dad«, begann sie zuckersüß und legte ihm sanft eine Hand auf die Schulter. »Da drüben ist eine Insel, die ich mir gerne näher ansehen würde. Hast du was dagegen, wenn wir ein bisschen tiefer fliegen?« Lawrence wirkte abgeneigt, doch sie schaltete ihren töchterlichen Charme ein, ehe er ablehnen konnte. »Bitte, Dad, es würde mir viel bedeuten.« Ihre Stimme war wie Sirup. »Wir haben doch keine Eile. Nur fünf Minuten, ja? Mehr nicht.«
Lawrence drohte mit seinem Buttermesser. »Aber nur einen kurzen Blick, junge Dame!«
Helena schloss die Cockpittür, nahm sich ein Headset und setzte sich hinter die beiden Piloten. »Warren, da drüben liegt eine Insel.« Sie zeigte rechts aus dem Fenster. »Ich habe gerade mit meinem Vater gesprochen, wir würden sie uns gerne aus der Nähe ansehen.«
Captain Lewis war sehr entgegenkommend. »Sicher, Helena«, sagte er und schaltete die automatische Steuerung aus.
»Ich habe auch ein hübsches Segelboot gesehen«, meinte sie. »Vielleicht könnten Sie einen Vorbeiflug wagen. Das macht Ihnen doch nichts aus?«
Er drehte den Kopf zu ihr und sagte gutgelaunt: »Ganz sicher nicht. Es wird mir sogar Spaß machen.« Er übernahm das Steuer, um Fahrt zurückzunehmen. »Ich hörte, Sie haben in Mexiko ein kleines Abenteuer erlebt.«
»So kann man es nennen«, meinte sie ausweichend.
»Nun … es freut mich, dass Sie wieder in Sicherheit sind.« Er bedachte sie mit einem flüchtigen Lächeln.
Der Jet flog in sanften Kurven zum Meer hinab, das im Fenster immer deutlicher und blauer wurde. Als sie in einer weiteren Kehre nach Osten flogen, kam ein schwarzes Kevlarsegel in Sicht.
»Das ist es!«, sagte Helena aufgeregt. Die Jacht zog stark zur Seite geneigt durch die Wellen. An Deck war ein einzelner Mann zu sehen. Helena fasste an die Fensterscheibe, als wollte sie hinausgreifen.
Wilson hörte das Flugzeug erst, als es fast neben ihm war. Er wischte sich die Gischt von den Augen und sah es vorbeisausen, sehr tief und nur ein paar Hundert Meter entfernt. Er hatte auf tausend Dinge zu achten; stattdessen klebte sein Blick an der Hand, die gegen die Cockpitscheibe gedrückt wurde.
Er hatte keinen Zweifel, wem diese Hand gehörte.
Ein seltsames Gefühl der Sicherheit durchströmte ihn. Er wusste jetzt, dass Helena ihn überall finden würde, selbst hier draußen auf dem offenen Meer. In diesem Moment brach eine Riesenwoge, eine wahre Wasserwand, über den Bug der Nummer 23, hüllte Wilson ein und drohte ihn über Bord zu spülen. Die Wucht des Wassers trieb ihm den Atem aus der Lunge, doch sein Lächeln blieb.
Helena fühlte die Kälte der Scheibe an der Handfläche. Sie war glücklich und traurig zugleich. Die übersinnliche Verbindung zwischen ihr und Wilson war nicht zu leugnen, und das war beruhigend. Sie sehnte sich seine Nähe herbei.
Die Cockpittür schwang auf, und Lawrence erschien in der Öffnung. »Das reicht, Warren«, sagte er gebieterisch. »Man wartet auf uns.«
»Nein, Moment noch!«, widersprach Helena, um noch eine Sekunde herauszuschlagen.
»Ich sagte, das reicht!«, schnauzte Lawrence. »Zurück nach Houston.«
Wilson beobachtete, wie das Flugzeug aufstieg und dem Horizont entgegenflog. Nummer 23 tauchte in ein neues Wellental. Eine schäumende blaue Wasserwand rauschte über den Bug und raste das Deck entlang auf ihn zu, um seinen geschwächten Körper in den durchnässten Kleidern zu überschütten. Helena war wieder fort – und Wilsons Lächeln ebenfalls.
31.
Kalifornien, Amerikanischer Kontinent
Mount Whitney, Sierra Nevada
17. Mai 2081
Ortszeit: 11.12 Uhr
6 Tage vor dem Transporttest
Ein Wald aus Mammutbäumen bedeckte den Berghang. Ihre kurzen, dicken Äste waren dicht belaubt. In ihrem Schatten war es dunkel. Einige Bäume waren gut fünfzig Meter hoch; ihre Stämme hatten einen Umfang von fünf Metern. Barton sagte, sie seien über zweitausend Jahre alt – die ältesten und größten Organismen der Erde. Wie bei
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