Die Frequenz: Thriller (German Edition)
allem machte Barton die Wanderung zu einer Unterrichtsstunde.
Der Leiter des Mercury-Teams lief den steinigen Weg mühelos hinauf. Alle paar Minuten blieb er stehen, den Wanderstock in den Boden gestemmt, und drehte sich nach Wilson um.
»Es ist jetzt nicht mehr weit«, sagte er wieder. »Es wird sich lohnen.«
Sie trugen Wanderausrüstung: weiße Overalls, Rucksäcke, gelbe Survival-Westen, Wanderstiefel. Aber Wilson sah nur äußerlich nach einem Wanderer aus. Er schwitzte und die Höhe – inzwischen 2400 Meter – machte ihm das Atmen schwer. Barton dagegen wirkte frisch.
»Sie hätten mir sagen können, dass es so schwierig wird«, keuchte Wilson. »Dann wäre ich nicht mitgekommen.«
Barton löste die Wasserflasche vom Gürtel und trank einen Schluck. »Sie müssen auf das Unerwartete vorbereitet sein. Das Wichtigste ist die Disziplin, durchzuhalten«, sagte er und ging weiter.
»Wir haben nur noch sechs Tage für die Vorbereitungen«, stöhnte Wilson und betrachtete den Wald. »Ich kann nicht glauben, dass Sie mich hierher schleppen.«
Barton kam die paar Schritte zurück, packte Wilson am Ärmel und zog ihn vorwärts. »Es ist nicht mehr weit.« Er blickte auf sein Navigationsgerät, das er um den Hals hängen hatte. »Keine zwei Kilometer.«
»Ich glaube nicht, dass die Zeit gut genutzt ist.«
Barton ließ ihn los. »Sie ist sogar ausgezeichnet genutzt.«
Nach einer Weile gelangten sie aus dem Schatten des Waldes über die Baumgrenze, und der Weg wurde flacher, als er über ein schmales, einsames Plateau führte, das stufenförmig zu einem fernen Gipfel anstieg. Wilson fiel das Atmen leichter, als fühlte er sich in der offenen Landschaft freier. Die Wärme der Sonne auf dem Rücken tat gut.
Dreißig Minuten lang liefen sie, ohne zu reden.
Nach dem Aufstieg über den steiler werdenden Hang kam Barton als Erster auf dem Gipfel an. Ringsum sah man nur Berge, die wie erhabene Tempel in den Himmel ragten. Wilson taten die Beine weh, als er die letzten Schritte machte. Dann nahm er zum ersten Mal die Aussicht in sich auf. Es verschlug ihm schier den Atem. Das war Natur in ihrer schönsten Pracht. Am blassblauen Himmel stand keine einzige Wolke. Breite, frei dahinströmende Flüsse teilten die Täler. Der Wald war üppig grün, die Luft kühl. Ein Weißkopfadler zog über ihnen seine Kreise.
Es war paradiesisch.
Barton atmete tief durch. »Dieses Gebirge ist entstanden durch die San-Andreas-Störung, die unter uns verläuft, denn hier stoßen die Nordamerikanische und die Pazifische Platte aneinander.« Er zeigte nach links. »Die Pazifische Platte liegt da drüben; sie schiebt sich langsam nach Norden.« Er zeigte nach rechts. »Dort ist die Nordamerikanische Platte, die sich nach Süden bewegt. Das Ergebnis haben wir hier vor uns.« Er war sichtlich begeistert. »Was für eine wundervolle Welt.«
Es folgte ein kurzes Schweigen; dann sagte Barton: »Wilson, ich habe Sie hierher gebracht, um Ihnen das Wichtigste beizubringen, was ich je gelernt habe.«
Wilson drehte sich zu ihm um.
»Richten Sie Ihre Gedanken immer auf das Positive. Das ist unerlässlich. Ich kann es gar nicht oft genug betonen.« Barton war kein bisschen außer Atem. »Ihr Geist kann sich nicht dagegen wehren, was in Ihrem Innern ist. Negativität ist mit Abstand Ihr größter Feind. Versuchen Sie, sich möglichst auf den Augenblick zu richten.« Er schaute in die Umgebung. »Es hat keinen Zweck, Sie auf solch ein Unternehmen vorzubereiten, wenn Sie nicht die richtige Einstellung haben. Dann nützt das ganze Training nichts. Sie müssen sich auf den Augenblick richten.«
Wilson beklagte sich wie ein enttäuschtes Kind. »Haben Sie mich vierzig Kilometer wandern lassen, um mir das zu sagen?«
»Sie ignoranter Kerl!« Barton klang heiser vor Zorn. »Sie müssen begreifen, wie wichtig das ist! Nicht was Sie gelesen haben oder was Sie zu wissen glauben, ist von Bedeutung – sondern wie Sie sich bei dem Einsatz verhalten. Darum sind wir hier. Wenn Sie den Auftrag angehen, wie Sie diese Wanderung angehen, werden Sie versagen!«
Wilson war sprachlos. So hatte Barton noch nie mit ihm gesprochen.
»Ihre Gedanken, Wilson, sind selten auf die Gegenwart gerichtet. Sie schauen immer in die Zukunft, und Sie haben eine Tendenz zum Negativen. Wenn Sie nichts daran ändern, werden Sie den Auftrag verpatzen.« Der harte Blick, den der Wissenschaftler gezeigt hatte, verschwand, und seine Stimme klang wieder freundlich. »Sie haben ein
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