Die Frequenz: Thriller (German Edition)
werde die Ironie nicht schätzen. Es hieß, er würde so verehrt, dass das jüngere Personal schon in Panik gerate, wenn er sich nur näherte. Weit über hundert Jahre alt, stand er länger in der Verantwortung, als jemand zurückdenken konnte, und während all der Zeit florierte das Unternehmen. Tredwell war es gewesen, der den Erwerb oder Untergang fast aller Konkurrenten gelenkt hatte – feindliche Übernahmen waren seine Spezialität. Als Folge davon war GM einer der reichsten Männer der Welt – ein Geschäftsmann, den man weder beeinflussen noch bestechen konnte.
Der alte Mann war ein Selfmademan, der sich auch als Politiker betätigte. So hatte er das Unternehmen zu dem gemacht, was es heute war. Er besaß alles: hervorragende Logik, bemerkenswerten Instinkt, unfehlbares politisches Geschick. Es hatte eine Zeit gegeben, da er sich den Regeln gebeugt hatte, aber diese Tage – und die Notwendigkeit – waren vorbei. Das Einzige, was er nicht zu seinen Gunsten beeinflussen oder unter seine Kontrolle bringen konnte, das war sein fortgeschrittenes Alter. Und kein Geld der Welt konnte verhindern, dass er älter wurde, obwohl er sich täglich eine Bluttransfusion leistete, um seine Lebensqualität zu verbessern. Er war eine wahrhaft erfolgreiche Führungskraft am Abend einer langen Karriere.
GM und Barton kannten sich seit über vier Jahrzehnten. Barton hatte GM schon immer gemocht. Sie waren Freunde – soweit man mit einem der mächtigsten Männer der Welt befreundet sein konnte.
Der Mann hinter GM war sein Enkel Jasper Tredwell, Geschäftsführer und Thronanwärter des Unternehmens. Trotz der fünfzig Jahre Altersunterschied war die Familienähnlichkeit bestechend. Bei schummrigem Licht konnte man sie fast miteinander verwechseln. Jasper war der Sohn von GM s ältester Tochter. Er war ein paar Zentimeter größer als sein Großvater und besaß den langen Oberkörper der Tredwells. Die Gesichtszüge, besonders die Nase, waren scharf, die Brauen dunkel und buschig. Nur seine Haare, braun und kurz geschnitten, waren etwas fülliger.
Bei aller Ähnlichkeit waren sie im Charakter verschieden. Jasper war kein geselliger Mensch, und er drohte anderen, um seine Ziele zu erreichen. Barton vertrat häufig die Theorie, dass Jasper sich durch die tägliche Zusammenarbeit mit GM dazu getrieben sah, ständig seinen Vorteil zu suchen. Es hieß, dass es auf Erden keinen dunkleren Platz gebe als den Schatten GM s. Infolgedessen gebrauchte Jasper seine Macht bedenkenlos, und wenn seine Pläne behindert wurden, fuhr er aus der Haut. Man konnte mit Sicherheit behaupten, dass Bartons Beziehung zum stellvertretenden Chef der Firma eisig war.
Doch Barton räumte widerstrebend ein, dass Jasper auch seine Stärken hatte. Er besaß die Disziplin eines Offiziers und ein scharfes Auge für Profit, und er bewies Vorsicht, wo sein Großvater zu Leichtsinn neigte. In vieler Hinsicht waren sie ein gutes Gespann. Guter Junge, böser Junge. Optimist, Pessimist. Philanthrop, Bilanzprüfer. Zusammen waren die Tredwells: der alte Herr und der tyrannische Protegé, auf jeden Fall eine Allianz von Weltrang.
Als Barton endlich bewusst wurde, dass die Tredwells in seinem Büro standen, schaltete er sofort das über ihm schwebende Laserbild weg. Auch das Rauschen der Wellen verstummte. Barton behielt seine fünf Sinne beisammen und schlug einen ruhigen Ton an.
»Ich habe Sie heute nicht erwartet, GM . Was verschafft mir die Ehre dieses spontanen Besuchs?« Barton kam hinter dem Schreibtisch hervor und bot den Tredwells die beiden Besuchersessel an. GM schob Barton mit seinem Stock beiseite und ging an ihm vorbei.
»Ich bin wegen Ihres Mercury-Projekts hier«, sagte er und begab sich hinter den Schreibtisch, um Bartons Platz einzunehmen. Barton überraschte das nicht. GM machte bei allem seine Autorität geltend. Was ihn allerdings beunruhigte, war Jasper, der aufmerksam den Stapel vertraulicher Unterlagen betrachtete, die auf dem Schreibtisch lagen.
GM nahm einen digitalen Marker und balancierte ihn zwischen seinen gebrechlichen Fingern. Er kam wie immer gleich zur Sache, mit seidenglattem Ton und perfekter Rhetorik. »Jasper meint, es sei Zeit für uns, das Mercury-Projekt 81-07 zu beenden. Es ist bedauerlich.«
Barton blieb ruhig.
»Ich glaube, er hat recht«, fuhr GM fort. »Ja. Ich glaube, wir müssen das Mercury-Team jetzt auf eine Schwierigkeit ansetzen, auf die wir in der Plutoniumfabrik 27 gestoßen sind.« Er blickte auf den Marker.
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