Die Frequenz: Thriller (German Edition)
ein dummer Junge.«
Wilson verstand nicht, warum Barton ihm nicht davon erzählt hatte – sie hatten den ganzen Tag zusammen verbracht. Er musste doch davon gewusst haben.
»Andre war für das Team sehr nützlich«, sagte Karin bedauernd.
Einen Moment lang standen sie schweigend beieinander.
»Wie kommt es nur, dass wir beide immer auf einem Flur herumstehen?«, meinte Wilson, um die Stimmung aufzulockern, und dachte an ihre erste Begegnung an der Pacifica University.
»Ja, es scheint sich zu wiederholen, nicht wahr?«, erwiderte Karin. »War das Ihr erster Besuch im Transportlabor?«
»Ja.« Er blickte ihr ins Gesicht. »Dort sollen offenbar meine Moleküle mit Lichtgeschwindigkeit zerlegt werden. Danke übrigens, dass Sie mich hergebracht haben.« Seine Stimme triefte von Sarkasmus. »Mein Leben war vorher schrecklich langweilig.«
Sie ließ ein makelloses Lächeln sehen. »Kommen Sie mit rein, ich werde Sie herumführen.«
Karin zeigte ihm alles und stellte ihn den Teammitgliedern vor, die er noch nicht kannte. Sie war ein Muster professioneller Freundlichkeit. Es war bemerkenswert, dass sich niemand an Andres plötzlichem Verschwinden zu stören schien. Wilson stand an der Glaswand und schaute in das Labor, wo der Transportbehälter drohend unter einer Reihe Lampen leuchtete. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich unwohl.
»Sind Sie nervös?«, fragte Karin.
Wilson starrte die Kristallkugel an. »Wären Sie es nicht?«
Ihr Tonfall blieb heiter. »Das Mercury-Team wird Sie durch die Sache durchbringen.« Wie sie ihre glänzenden braunen Haare zurückwarf, bot sie ein Bild des Selbstvertrauens. »Ich finde, Sie sind sehr tapfer. Ich bin beeindruckt.« Sie musterte ihn von oben bis unten. »Ja, sehr tapfer.«
»Ich glaube, dumm trifft es eher.« Wilson kannte die Wahrheit über das bevorstehende Unternehmen und die Reise in die Vergangenheit; Karin würde ihm sicher beipflichten, wenn sie davon wüsste.
»Nein, eindeutig tapfer«, bekräftigte sie, als wollte sie auf die Lebensgefahr anspielen, die damit verbunden war.
33.
Nil, Ägypten
Acht Kilometer nördlich von Kairo
20. Dezember 2012
Ortszeit: 16.40 Uhr
Unternehmen Jesaja – sechsundzwanzigster Tag
Von der Wüste wehte ein unzeitig warmer Wind heran.
In der Ferne malte ein helloranger Sonnenuntergang seine satten Farben an den hohen afrikanischen Himmel, und der gewaltige Nil spiegelte das Bild auf seiner windbewegten Oberfläche. Der längste Fluss der Erde war in dieser Gegend die einzige Lebensquelle. Eine riesige Wasserfläche von mehreren Hundert Metern Breite und über sechstausend Kilometern Länge, so floss er, von den höher gelegenen Nebenflüssen im Süden gespeist, durch acht Länder, ehe er Ägypten erreichte und die Sahara durchquerte, um sich schließlich ins Mittelmeer zu ergießen.
Wie Wilson allein am Ruder der Nummer 23 stand, in langen Hosen, mit nacktem Oberkörper, Kappe und Sonnenbrille, hätte er eine Reklame aus einem Reisemagazin sein können. Die Fahrt von Mexiko hatte drei Wochen gedauert, und er war braungebrannt und unrasiert, seine Haare länger und von der Sonne gebleicht.
An beiden Ufern standen üppige Baumwollpflanzen; ihre grün-goldenen Stängel schimmerten im Licht. Als Ersatz für die jährliche Überschwemmung des Nils pumpte ein komplexes Bewässerungssystem das Wasser meilenweit ins Inland. Man mochte sich leicht vorstellen, dass es in Ägypten gar keine Wüste gab, doch ab und zu schauten die Sanddünen über das Grün und offenbarten ihre Existenz.
Der Fluss war mit Booten bevölkert, ägyptische Feluken mit breitem, flachem Rumpf und Setteesegeln. Wilson lächelte, als er an den unfreundlich blickenden, alten Männern vorbeikam, die die Boote steuerten. Mit einer Haut wie altes Leder machten sie den Eindruck, als besegelten sie das Gewässer schon ihr Leben lang. Jedem hing eine selbst gedrehte Zigarette von den Lippen, während sie gelassen im Zickzack ihre Fracht stromaufwärts und stromabwärts beförderten.
Wilson stellte sich vor, wie es hier vor Tausenden von Jahren ausgesehen hatte: große ägyptische Kriegsschiffe voller bewaffneter Soldaten, die den Fluss patrouillierten, denn der Nil brauchte permanente Bewachung – vor den Römern im Norden und den Nubiern im Süden, da man auf diesem Weg am leichtesten in das Land eindringen konnte. Doch die Pharaonen schützten den Strom mit großem Geschick, und keinem Heer war je eine Invasion per Schiff gelungen.
Wilson beschwor immer neue
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