Die Frequenz: Thriller (German Edition)
die Wahrheit herauszufinden.
Helena holte tief Luft und betrat das Wohnzimmer. Auf ihr Erscheinen richtete sich der Doktor verblüfft auf.
»Ich dachte, Sie seien müde.«
»Ich mache nur einen kleinen Spaziergang. Ich brauche ein bisschen frische Luft.«
Ehe er etwas dazu sagen konnte, war sie durch die Wohnungstür verschwunden und im Aufzug.
Der Mercedes jagte aus der Tiefgarage und auf die Schnellstraße. Mit durchgetretenem Gaspedal und heruntergelassenen Scheiben gab sie die Adresse in das Navigationsgerät ein. Dann setzte sie sich die Sonnenbrille auf.
Innerhalb von Sekunden hatte sie eine hohe Geschwindigkeit erreicht und fädelte sich durch den dichten Verkehr. Die Bürobauten der Innenstadt wurden höher; die frühe Nachmittagssonne spiegelte sich in den Glasflächen. Helena blickte rasch nach links und rechts und überfuhr eine Kreuzung bei Rot. Der Wind toste durch den Wagen. Die blonden Haare wehten ihr um den Kopf.
»Ich werde herausfinden, was los ist«, sagte sie sich.
In den letzten beiden Tagen waren ihre Visionen klarer geworden. Vorher war sie im Schlaf mit seltsamen Symbolen überschwemmt worden und hatte ein beständiges Grollen gehört, wie von fernem Donner. Das Geräusch hätte sie beinahe verrückt gemacht, doch es hatte wunderbarerweise aufgehört. In den letzten beiden Tagen hatte sich alles geändert, und Helena war sicher, dass sie tatsächlich durch die Augen eines anderen sah. Es musste eine Art übersinnliche Verbindung sein. Allerdings begriff sie nicht, wieso. Zumindest schien jetzt alles in gewisser Weise real zu sein, auch wenn es dadurch nicht weniger absurd wurde. Würde sie den Mann aus ihren Visionen finden, würde sie sicherlich mehr verstehen. Und noch wichtiger war ihr die Bestätigung, dass sie nicht den Verstand verlor.
Der Mercedes ging mit hoher Geschwindigkeit in die Kurve, jagte in eine Unterführung und schoss wieder hinaus in den hellen Sonnenschein.
Hatte dieser Unbekannte eine besondere Bedeutung für sie? Helena grübelte über die Frage nach und stellte fest, dass sie kaum etwas empfand. Nur Gleichgültigkeit. Die einzige Empfindung, deren sie sicher sein konnte, war ihr Zweifel an der Wirklichkeit des Ganzen. Konnte dieser George Washington der Mann sein? Konnte er der Grund sein, dass ihr Leben aus den Fugen geriet, trotz der vielen Therapiesitzungen und der Medikamente, die sie akzeptiert hatte, um es durch die langen, quälenden Nächte zu schaffen? Schon bei dem bloßen Gedanken wurde ihr schlecht.
Während der Wind durch den Wagen wehte, wurde im Radio einer ihrer Lieblingssongs gespielt. Helena sang laut mit und versuchte, sich zu entspannen, doch bald drängten sich die gleichen Gedanken in den Vordergrund. Sie war wütend. Sie wollte wissen, warum ihr das alles passierte. Musste sie jemandem die Schuld daran geben? War es das? Ja, schloss sie, sie brauchte einen Feind. Wir Capriartys wissen, wie mit Feinden umzugehen ist.
Sie atmete tief durch und erkannte, dass es unklug war, voreilige Schlüsse zu ziehen. Trotz allem bestand die Möglichkeit, dass es Symptome von posttraumatischem Stress waren, wie Dr. Bennetswood immer behauptete. Zuerst galt es zu ergründen, ob es den Mann aus ihren Visionen wirklich gab. Dann wäre sie einen entscheidenden Schritt weiter.
Der Wagen begann zu vibrieren, als er mit Höchstgeschwindigkeit über die leere Autobahn jagte. Bordersville lag nördlich des internationalen Flughafens, und die Erwartung, etwas herauszufinden, spornte sie an, den Wagen bis an seine Leistungsgrenze zu treiben. Sie schoss über die Ausfahrt und trat auf die Bremse, sodass der Wagen schlingerte. »Richey Road«, sagte sie leise, als sie die schmale Straße hinunterfuhr.
Auf diesem Abschnitt der Straße gab es nur ein Haus – die Nummer 23, wie Detective Olsen gesagt hatte. Der Wagen kam am Straßenrand zum Stehen, und Helena schaute zu dem Grundstück. Hohe Sträucher und Unkraut versperrten die Sicht. Es waren nur die Umrisse eines grünen Mobilheims zu erkennen. Sie stieg aus dem Wagen und blickte in beide Richtungen, wo weder Autos noch Menschen zu sehen waren. Sie zog die Waffe, entsicherte sie und lief die Zufahrt hinauf.
Tief hängende Äste warfen fleckige Schatten auf den Boden. In den Büschen hingen zwei handgemalte Schilder: »Achtung, bissiger Hund!« und »Eindringlinge werden erschossen!«
Als Helena auf das Grundstück vordrang, schärfte sie ihre Sinne und griff fester um den Pistolenknauf. Ein Linienjet
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