Die Frequenz: Thriller (German Edition)
Miststück.«
14.
Houston, Texas
Hauptbahnhof
26. November 2012
Ortszeit: 14.59 Uhr
Unternehmen Jesaja – zweiter Tag
In Gedanken vertieft war Wilson sich der Umgebung kaum bewusst, als er die breite Treppe zum Seiteneingang hinaufstieg. Er fror und war müde. Er trug Kleidung, die nicht passte und zudem lächerlich bunt war. Und er war definitiv keine »Love Machine«. Er kam sich albern vor, sehr albern. Das war nicht das glanzvolle Unternehmen, das er sich vorgestellt hatte. Wie sein Großvater immer zu sagen pflegte: Wenn man vorher zu viel darüber nachdenkt, sind die Dinge selten so, wie man sie sich vorgestellt hat.
Ein klarer blauer Himmel umrahmte die Mauern des Bahnhofsgebäudes. Aus einiger Entfernung wirkte er wie ein Ort der Ruhe, stattlich, üppig, überlebensgroß. Doch die hohen Mauern nahmen eine Gemeinschaft menschlicher Verzweiflung in sich auf, die unmöglich zu beschreiben und für den unvorsichtigen Reisenden gefährlich war.
In Wilsons Kopf jagte ein Gedanke den anderen. Warum hatte die Polizei nach ihm gesucht? Warum kamen sie mit solch einem Aufgebot? Und die Reaktion des Dobermannweibchens war verblüffend. George Washington war ein erstaunlicher Typ. Eine ungewöhnliche Entdeckung in dieser verrückten Welt. Ehrlich auf hinterlistige Art – eine seltsame Mischung.
Der unverwechselbare Gestank menschlicher Exkremente stieg Wilson in die Nase, als er sich dem Treppenabsatz näherte.
Er blickte genauer hin.
Die Treppe endete zwischen drei düsteren Granitmauern, doch es war der Anblick der Leute dort, bei dem Wilson der Atem stockte. Hunderte lagerten zusammengekauert in einer Pappkartonsiedlung. Manche hielten sich mit Zeitungen warm, andere lagen unter schmutzigen Decken. Überall türmten sich Berge von Abfällen, zwischen denen schmale Pfade hindurchführten. Dazwischen standen alte Einkaufswagen, manche bis zum Rand gefüllt mit rätselhaften Dingen.
Ein kalter Wind pfiff über die Mauerkanten. Wilson betrachtete das Meer schmutziger, ungekämmter Köpfe, die seine Ankunft verfolgten. Ja, sie musterten ihn eingehend. Die Zukunft, das wusste er, war ganz anders. Er war sprachlos. Da hausten Frauen und Kinder in den Pappbauten. Ihre Blicke waren leer, als wäre kein Leben mehr in ihnen. Es war das Deprimierendste, was Wilson je gesehen hatte. Was war das für eine Welt, wo so vielen Menschen so wenig gelassen wurde? Eine tiefe Traurigkeit machte sich in ihm breit. Dann wechselte seine Stimmung. Er erinnerte sich, welche Macht ihm zur Verfügung stand. Wenn er die Schumann-Resonanz korrigierte, würden sie in Zukunft diese Art Leben hoffentlich nicht mehr führen müssen.
Ein Tuten in der Nähe – wahrscheinlich ein Zug – riss Wilson aus diesen Gedanken. Nachdem er einen Augenblick stehen geblieben war, sah er sich nun von ein paar fürchterlich stinkenden Männern umringt, die sich ihm genähert hatten, als er in Gedanken versunken war. Sie zupften an seiner Kleidung.
Einer sagte mit krächzender Stimme: »Geld, Mister. Gib mir ’n paar Kröten.«
Ein anderer: »Gib mir Knete, gib mir Knete.«
Wieder ein anderer: »Ich brauch Zaster, Mann, nur ’n Dollar oder zwei.«
Sie griffen nach seinen Taschen, schubsten ihn, stießen ihn. Er tat sein Bestes, um das Wenige, was er hatte – drei Dollarscheine und eine Kreditkarte – zu behalten, doch die Übergriffe wurden zudringlicher. Vor allem wollte Wilson seine Sonnenbrille behalten. Langsam zog er sich zurück. Doch je mehr er den Männern auswich, desto enger umstellten sie ihn. Er kam sich vor wie eine Beute in einer Meute hungriger Wölfe. Unweigerlich wurde ihm die Brille von der Nase geschlagen. Es gelang ihm noch, sie aufzuheben, und er setzte sie hastig wieder auf.
Doch seine Augen waren gesehen worden.
Ein alter Mann mit verfilztem, grauem Bart stand jetzt unter dem Bann einer trakenoiden Reaktion.
Alles ging in Zeitlupe über, als in den Augen des Alten eine Wut von beängstigender Intensität aufleuchtete. Die Männer bedrängten ihn immer heftiger, während Wilson zurückzuweichen versuchte. Aus der Ferne waren Pfiffe zu hören. Wilson wusste nicht, was sie zu bedeuten hatten. In dem wirren Gedränge hatte er bereits die Orientierung verloren. Dann bekam er einen Schlag auf den Kopf, und noch einen. Als er sich nach dem Täter umsehen wollte, schlug ihm einer die Faust ins Gesicht. Der Alte mit dem grauen Bart drosch auf ihn ein.
Graubarts Pupillen waren zusammengeschrumpft, genau wie bei dem Wachmann am
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