Die Frequenz: Thriller (German Edition)
ein und spähte in den sechseckigen Treppengang, der im Fünfundvierzig-Grad-Winkel aufwärts führte. Der Boden war glitschig. Das Innere war feucht vom Wasser, das durch Hunderte verborgene Risse und Nischen der Außenpyramide eingesickert war.
Esther blieb unten auf dem Gras stehen und schaute zum Himmel. Ihre Ohren zuckten nervös. Helena kniete sich neben sie.
»Was ist, Mädchen? Spürst du etwas?« Sie blickte zum Waldrand, dann zu dem Eingang, durch den Wilson verschwunden war.
Alles vibrierte, als Wilson das Ende der Treppe erreichte und in die Doppelkammer trat. Es war heiß und feucht, und er spürte einen Anflug von Platzangst. Ein schimmliger Geruch wie von feuchten Lappen hing in der Luft.
Seine Lampe warf einen Lichtstrahl in die Dunkelheit.
Voraus versperrte ein Gittertor den Weg. Auf der anderen Seite befanden sich zwei kleine Räume mit einem Chac-mool, der toltekischen Statue eines rundlichen nackten Mannes, der mitten auf dem Boden lag. Die Maya hatten ihn als Opferaltar benutzt. Münzen, die Touristen als Glücksbringer hineingeworfen hatten, lagen auf seinem flachen Bauch und ringsherum auf dem Boden.
In dem zweiten Raum stand der Thron des Roten Jaguars. Die Jadeaugen des Tieres und die Reißzähne aus Pyrit leuchteten drohend im Lichtschein.
Das Tor war durch ein Vorhängeschloss gesichert.
Wilson schob die Eisenstange in die Kette und drehte sie herum. Das Metall ächzte. Er drehte weiter und weiter, bis es knallte und das Tor quietschend aufschwang.
Das ist jetzt eine Frage des Glaubens, sagte er sich.
Wilson ging um die toltekische Statue herum und näherte sich dem Thron des Roten Jaguars. Die Sitzfläche befand sich in Hüfthöhe; von außen war er blutrot. Das Tier mit den Jadeaugen und Jadeflecken am ganzen Körper stand an der Seite.
Das Rütteln und Schütteln ging unverändert weiter.
Wilson leuchtete die Wände ab.
Ungefähr in drei Viertel der Höhe waren, freigelegt durch das Beben, zwei Löcher entstanden, jedes so groß wie eine Faust. Wilson stieg auf den Rücken des Jaguars, sodass die Öffnungen sich in Brusthöhe befanden, und klemmte sich die Stablampe zwischen die Knie.
Er wusste, was er zu tun hatte, zögerte jedoch. Es widersprach jedem Instinkt, die Hände in diese schwarzen Löcher zu schieben. Er hatte Bartons Worte noch im Ohr: Drehen Sie im Uhrzeigersinn. Tun Sie es, ohne nachzudenken. Wilson rieb sich die Hände; dann stieß er sie furchtlos hinein.
Etwas Kaltes, Metallisches zog an seinen Fingerspitzen. Einen Moment lang fragte er sich, ob hier sein Leben enden würde – gefangen an einer verwünschten Mauer in Mexiko. Seine Arme wurden gestreckt, seine Brust so stark gegen die Wand gezogen, dass er kaum atmen konnte. Vielleicht würde es ihm die Hände abreißen! Das ist eine Frage des Glaubens, sagte er sich wieder und kämpfte gegen die drohende Panik.
Mit aller Kraft drehte er die Hände im Uhrzeigersinn.
Nichts rührte sich.
Wilson drehte weiter, fester. Mit rauem Knirschen lösten sich endlich die Siegel, und seine Arme kamen frei. Er verlor das Gleichgewicht und fiel rücklings in den Raum. Seine Stablampe rollte über den staubigen Boden.
Steinsplitter sprangen von der Wand ab, als über dem roten Jaguar ein großer, kreisrunder Stein von einem Meter Durchmesser sich zu drehen begann wie das Glücksrad in einem Kasino. Immer schneller wurde die Drehbewegung. Der Stein leuchtete flackernd auf. Doch jetzt war nicht die Zeit, dies zu bestaunen, denn mit einem Mal taten sich, wie in Zeitlupe, Risse an der Decke auf, und Staub wölkte träge in den Raum.
Wilson rannte zu der toltekischen Statue und machte einen Satz nach draußen, als die Deckenbalken hinter ihm herabstürzten. Die Deckensteine schlugen laut polternd auf den Boden. Die innere Kammer war versperrt und in Dunkelheit getaucht.
Während Wilson blind die Treppe hinunterhetzte, lief die Zeit wieder schneller. Noch einmal gab es ein lautes Poltern. Die Decke der äußeren Kammer stürzte ebenfalls ein, der entstehende Druckstoß erreichte Wilson. Er verlor den Halt auf den glitschigen Stufen und stürzte kopfüber in die Tiefe.
Ungefähr zweihundert Meter entfernt kniete Helena mit Esther an ihrer Seite in einem Mauerdurchgang und spähte zu der Pyramide hinüber. Einen Moment lang hatte sie durch Wilsons Augen gesehen. Allmählich kam sie mit der desorientierenden Wirkung der ineinander übergehenden Bilder zurecht, so oft hatte sie es nun schon erlebt.
Eine dichte Staubwolke
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