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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Zustand meiner Kopfhaut. Er hörte nur mit einem Ohr hin. Kopf waschen! Solche Dinge waren sonst ihr überlassen. Sie fielen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Er war melancholisch und auch ein wenig schockiert. Und am Endewurde er sentimental: Ach, eine Familie war gar nichts Schönes, ein merkwürdiges Gebilde aus Haut und Haaren, das man anfassen und um das man sich kümmern musste, wenn man dazugehören wollte.
    – Sind Sie –?
    Ich schrecke aus meinem Tagtraum. Der Arzt winkt mich aus dem Aufenthaltsraum.
    – Der Lebensgefährte, lüge ich.
    Der Arzt gibt mir die Hand, hart, männlich, eine Klarstellung. Ich bin froh, dass ich mich seit fünf Tagen nicht mehr rasiert habe. Der Altersunterschied.
Lebensgefährte
.
    – Waren Sie das gestern?
    – Ja, sage ich, obwohl ich glaube zu wissen, was er meint. Ich hab mich verlaufen.
    – Passiert bisweilen, sagt er.
    Der Arzt geht voran, wir betreten ein kleines Zimmer. Er dreht sich zu mir um und streicht sich mit Daumen und Zeigefinger über die Oberlippe. Es würde mich nicht wundern, denke ich, wenn er plötzlich einen Baseballhandschuh aus der Tasche ziehen und mir befehlen würde, mich strategisch günstig aufzustellen.

Der Liebesbrief des Piloten
    Liebe Käthe!
    Was soll ich dir berichten? Ich bin immer noch im Krieg. Die Welt ist schrecklich verändert und die Grausamkeiten nehmen täglich zu. Wo immer man seinen Fuß hinsetzt, findet ein Völkermord statt. Und wenn ich die Zeichen richtig deute, weist alles darauf hin, dass ich nie wieder – dass ich nirgends mehr landen kann, liebe Käthe. Deshalb schreibe ich dir diesen Brief, aus der Luft, zwischen Himmel und Erde.
    Ich kann dir gar nicht sagen, wo ich schon überall war, denn überall sieht es gleich aus. Verbrannte Erde, vornüber gekippte Gebäude. Überall verzweifelte Menschen.
    Die Hölle auf Erden.
    Schmerzen, Lärm und Tod.
    Abgenagte Kadaver.
    Verstrahlte Wälder, rot verfärbt, wie ewiger Herbst. Sogar am Nordpol wüten die Flammen der Aurora Borealis und verschlingen Städte, die zu nah am Horizont gebaut sind.
    Ich selbst bin auch verletzt, liebe Käthe. Sorge dich bitte nicht, es ist nichts Ernstes. Aber die Stelle, an der – verzeih mir, ich merke, dass ich davon noch nicht schreiben kann. Es wird sich mit der Zeit schon alles geben.
    Aber mit mir geschehen noch andere seltsame Dinge in letzter Zeit, die vielleicht tatsächlich eine letzte Zeit ist. Die Sendefrequenzen der Funkverbindungen wechseln andauernd, sodass ich sonderbaren Unterhaltungen von Fremden lauschen kann, die sich in meine Routine mischen, ohne dass ich um ihre Gegenwart gebeten hätte. Esist fast, als tauchte ich in andere Dimensionen ein, wenn ich zu lange in der Luft bleibe. Aber gerade das will ich tun. Ich werde nur landen, wenn ich auftanken muss oder eine Reparatur notwendig wird.
    Von oben sieht die Welt sehr klein aus. Menschen liegen blutend da und sind nur ein winziger schwarzer Fleck in der Landschaft, wie ertrunkene Mücken.
    Ach, Käthe, wenn ich dir nur sagen könnte, was ich alles durchzustehen hatte!
    Denk nur, ich wurde gefangen genommen! Man hat mich betäubt, an einen Metalltisch geschnallt und mit höllischen Werkzeugen misshandelt! Man hat mich an einer Stelle verwundet, die … Mir fehlen noch immer die Worte. Und der Gedanke an die erlittenen Erniedrigungen lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen.
    An Schlaf ist sowieso nicht zu denken, jetzt, da ich das Flugzeug steuern muss. So bleibe ich nächtelang wach, klemme den einsamen Steuerknüppel zwischen meine notdürftig bandagierten Beine und schreibe an meinem Brief. Es tut mir gut, es ist der einzige Kontakt, den ich noch zur Erde habe. Ich bin ein denkender Kopf in einer winzigen Pilotenkanzel hoch über der zerstörten Welt. Unter mir sind Blut und Leben und Leiden und der Schorf des Kriegs, der langsam über das Land wächst.
    Hier oben sind nur Wolken.
    Was von der Erde aus aussieht wie ein trächtiges Schaf oder der südamerikanische Kontinent, gleicht aus der Nähe einem Meer von Baumwolle, einer zerfaserten Himmelsburg oder einem geisterhaften Iglu, auf das ich mit voller Geschwindigkeit zusteuere.
    Ach, wenn du es nur sehen könntest!
    Wer diese großen, prächtigen, ankerlosen Massen nur einmal gesehen hat, dem muss es unmöglich erscheinen,in eine Welt zurückzukehren, die voller unbegreiflicher Begrenzungen ist, in der es Menschenhaut, Zimmerwände und Staatsgrenzen gibt. Vielleicht eines Tages, wenn alles verheilt ist. Aber bis

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