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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Spiel gestern überhaupt nicht wehgetan; höchstens das eine Mal, als sie wirklich sehr fest zugebissen hatte, aber das war nur aus Übermut geschehen.
    Uljana lief etwas in der Gegend herum. Sie wusste, dass es die richtige Gegend war, aber noch besaß ihr friedliches Hundegehirn keine Straßenkarte; sie musste sie sich erst erarbeiten, erlaufen. Bis zum späten Abend blieb sie in Bewegung und streifte durch die Straßen des Bezirks und prägte sich alles ein.
    Menschen gingen an ihr vorbei, vermummte Gestalten, die mit Hüten und Mänteln beschwert waren, damit der Wind sie nicht davonwehte. Sie schleppten lange Abendschatten hinter sich her und egal, in welche Richtung sie sich bewegten, sie zogen ihre Köpfe ein und blickten zu Boden, als gingen sie gegen den Wind.
    Uljana bog in eine neue Straße ein. Der Geruch war hier etwas stärker, aber noch nicht so deutlich, dass man ihn wie eine Teppichschlaufe in den Mund nehmen hätte können, um mit ihm Freundschaft zu schließen. Nein, ein wenig musste sie noch gehen.
    Sie kam an einem Einkaufszentrum vorbei und schnupperte lange und konzentriert an einem futuristischen Gefährt, das an einem dicken, fetten Metallkaktus festgeschraubt war. Der Geruch war der von hastig losgewordenen Exkrementen; er stimmte sie traurig.
    Sie wackelte über eine kleine Rasenfläche, und durch ein Loch, das wohl ein verrückter Marder in einen Zaun gebissen und gekratzt hatte, fand sie Zugang zu einem Garten. Hohe Gebäude umgaben sie hier, die beleuchteten Fenster und Balkone wie ein Kranz von Kerzen rund um ihren neugierig zum Himmel erhobenen Blick.
    Sie lief durch die Einfahrt und fand sich in einer Straße wieder, durch die sie schon einmal gekommen war. Lange irrte sie zwischen Häusern und Autos herum.
    Wäre sie ein Mensch oder eine welterfahrene Katze gewesen, hätte sie sich vermutlich gefragt, was genau sie wohl vorhatte.

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    – Wie hässlich diese Stadt ist, ich sag dir, ich weiß manchmal gar nicht, wie man diese ungeheure Hässlichkeit beschreiben soll, es ist fast so, als hätte jemand eine alte Stadt hergenommen, sie in Gips gegossen und anschließend die Hohlform mit den Überresten einer vom Krieg völlig zerstörten Stadt wieder aufgefüllt, und dann stülpt er das Ganze wie einen Pudding irgendwo mitten in die Ebene, auf eine große Wiese, bumm – schon steht die ganze Stadt breitbeinig da, und Menschen fliegen von allen Seiten heran und lassen sich auf den Plätzen nieder und beginnen ihr Zerstörungswerk, denn sie müssen immer alles zerstören, egal ob Stadt, Land oder Beziehung oder … Ja … Ja, du hast Recht. Was? Ich gehe gerade über eine Brücke, deshalb der Wind. Ist schon ziemlich kalt jetzt, der Sommer ist vorbei, aber der Bettler sitzt trotzdem an derselben Stelle jeden Tag, von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends, dann steht er auf, streckt seine Glieder und wankt davon. Du kennst ihn wahrscheinlich, er sitzt auf so einem kleinen Pappkarton, den er schon fast bis zum Asphalt durchgesessen hat. Vor kurzem habe ich geträumt, dass man mir in einem Restaurant genau diesen Pappkarton, der an manchen Stellen so durchsichtig ist wie eine Zeitung, die man gegen das Licht hält, als Hauptgericht vorsetzt. Man muss sich das einmal vorstellen: Messer und Gabel gesellen sich links und rechts dazu, und der Kellner verwandelt sich in eine erwartungsvolle Salzsäule, und dann wird die silberne Domkuppel von einer unsichtbaren Hand vom Teller gehoben und – genau. Widerlich. Was? Ach, niemand, nur irgendwer, der neben mir hergeht und auch in sein Telefon spricht. Ja, das machenviele Leute. Du kannst das im Augenblick nicht, du bist noch bewusstlos. Ich? Ja, ich bin jetzt schon über die Brücke, wo die Innere Stadt beginnt, das ist noch der schönste Teil. Je weiter man in die Peripherie kommt, desto eintöniger und charakterloser wird alles, wie der Abspann eines Films. Der einzige Vorteil der äußeren Bezirke ist, dass es dort sehr viele Radwege gibt, aber sonst ist da eigentlich nichts. Ein Irrenhaus hier, ein gigantisches Einkaufszentrum da. Und ein gruseliger Ort namens Kalvarienberg, ein kleiner Hügel, auf dem man drei Kreuze aufgestellt hat, die man, wenn man das unbedingt will und den richtigen Aussichtspunkt findet, ehrfürchtig gegen den Sonnenuntergang betrachten kann. Ich hab mich immer gefragt: Wenn Jesus durch seinen Tod am Kreuz heilig und berühmt geworden ist, warum dann nicht auch die beiden anderen Männer? Zugegeben,

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