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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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die ihre Entscheidung längst getroffen haben, den Kopf schütteln,
mein Gott, was macht sie denn für ein Theater
, oder sich schnell sagen:
Er weiß, was er macht, er wird ihm nicht wehtun
. Bedingungslose Kapitulation – oder Rebellion. Letzteres kommt so gut wie nie vor. Auch nicht zwanzig Jahre später. Ich habe dem Schauspiel eine Weile zugesehen und wollte mich schon umdrehen und gehen, da habe ich gespürt, wie vor Angst meine Füße langsam mit Sand volllaufen. Genau in diesem Moment hat der junge Fritz eine Pause eingelegt und sich neben die Mütter auf die Bank gesetzt. Die Kinder waren mit dem Auftrag beschäftigt, sich am Beckenrand festzuhalten und mit den Beinen schnelle Paddelbewegungen zu machen. Der junge Fritz hatte seinen aerodynamischen Glatzkopf unter einem Handtuch verborgen, sodass ich unbemerkt auf ihn zugehen konnte. Die Mütter haben mich kaum beachtet. Was? Aber ja, ich hab ihn angesprochen. Warte. Ich stehe also vor ihm, und sein Kopf ist unter diesem Handtuch, und er blickt zu mir auf, ein weißes Gespenst mit der Andeutung einer Nase, und sagt etwas wie:
Ja, bitte?
Ich beuge mich zu ihm herab und sage:
Entschuldigen Sie, aber nehmen Sie noch Schüler?
Er nimmt das Handtuch ab, zwinkert, alswäre ich eine Lichtquelle, dann kratzt er sich im Nacken und sagt:
Sicher. In zwei Wochen beginnt der nächste Kurs
. Und er kramt ein Anmeldeformular aus seiner Sporttasche.
Schön
, sage ich und falte das Anmeldeformular zu einem kleinen Quadrat zusammen.
Und Sie sind auch bestimmt stark genug?
, frage ich.
Wofür?
, fragt er.
Für mich natürlich
, sage ich und streiche über meinen Oberkörper, als wollte ich mich ihm anpreisen.
Können Sie mich auch so ins Wasser wirbeln wie die anderen?
Sein Blick wird irgendwie silbrig.
Ich wiege zwar nur sechzig Kilo
, sage ich,
aber es ist trotzdem nicht allzu leicht, mich unter Wasser zu halten, denn ich kann ganz schön kräftig strampeln, wenn ich Angst bekomme, und trete Ihnen am Ende noch in die Eier. Darauf sollten Sie vorbereitet sein
, sage ich,
am besten, Sie tragen irgendeinen Schutz
. Er schaut mir mit einem schwer greifbaren Killerblick nach, während ich rasch zum Ausgang gehe und alle möglichen inneren Paroxysmen unterdrücken muss. Als erstes reißt sich mein Zwerchfell los, und ich krümme mich vor meiner Kabine zusammen. Ein paar Sekunden brauche ich, bis ich mich wieder gefangen habe. Ja … Ja doch. Ich schwör’s … Außerdem, ob das nun wirklich passiert ist oder ob ich es erfinde, um dich vom vollkommenen Nichts abzulenken, macht doch kaum einen Unterschied. Das Anmeldeformular habe ich heute noch, ich kann es dir zeigen. Ah, jedes Mal, wenn ich an einem Bad entlanggehe, werden meine Knie weich und mein Gang wird etwas schleppend. So ein Gefühl wie wenn man stundenlang in einem Wellenbad gestanden ist und dann mit dem Rad nach Hause fahren will: Der Wellenschlag hat sich derart tief im Körper eingenistet, dass man ständig umzukippen droht. An der Ampel ist es am schlimmsten. Oder man setzt sich auf einen Sessel und alles schwankt. So ähnlich ist es mir gegangen,als ich im Krankenhaus gewartet habe, sicher zehn Stunden oder mehr. Und niemand wollte mir etwas verraten. Hm … Weißt du, ich muss oft an etwas denken, das ich bei diesem Angeber Canetti gelesen habe. Ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr, es war irgendwas über ein älteres Ehepaar. Die Frau stirbt plötzlich, und der Mann verschweigt ihren Tod, tut so, als wäre sie immer noch da, neben ihm und hellwach. Er spricht mit ihr und erklärt ihr, was während ihrer großen Abwesenheit vor sich geht. Die tote Frau ist sehr traurig, heißt es dann, weil sie niemanden mehr sieht, also erzählt er ihr haargenau, was sich alles in der Wohnung befindet, was in der Zeitung steht, das Wetter draußen und so weiter. So ungefähr geht die Geschichte, und eigentlich ist es noch nicht einmal eine Geschichte, sondern nur ein kleiner Tagebucheintrag, denn dieser irre Canetti, musst du wissen, der war davon überzeugt, er könnte den Tod besiegen, schreibend oder lesend oder verstehend oder was weiß ich, irgendeine überhebliche Verrücktheit eben … Ja, stimmt, woher weißt du das? Der Wind hat aufgehört … Ja, ich bin stehen geblieben, da ist eine rote Ampel. Das kann eine Weile dauern. Drüben, auf der anderen Seite, stehen Leute und sehen mich, einen telefonierenden Mann, heftig zu einem Gespräch gestikulieren. In der Schule haben wir damals dieses Buch von Camus,
Der

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