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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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tribulations of a lamb lost in Calcutta. The lamb’s innocence so touches those it encounters that butchers and starving men befriend it. The film made me hungry
.
    Harry Mathews

Wolfgang, ein Update
    Wolfgang war ein Turnlehrer wie es viele gab. Ein durchtrainierter, einfacher Mann, der sich seine Trillerpfeife am Morgen umhängte wie ein Medizinmann seinen Geisterschmuck und sie auch trug, wenn weit und breit kein Spielfeld zu sehen war.
    Er verlangte nicht viel vom Leben. Seiner Frau sollte es gut gehen und seinem Kind auch. Man musste sich anstrengen, dann bekam man auch etwas dafür. Man musste warten, sich gedulden, und plötzlich legte das Schicksal einem ein Überraschungsei vor die Füße.
    So wie hier, in dieser leeren Krankenhauscafeteria.
    Er hatte den jungen Mann schon damals erkannt, als er ihn im Wartezimmer von Frau Dr. Messerschmidt sitzen gesehen hatte. Er war der einzige gewesen, der einigermaßen glücklich gewirkt hatte. Damals hatte Wolfgang nichts Besseres mit seiner Wartezeit (Gabi war nun schon zwei Stunden bei der Therapeutin, die
fließende Zeitvereinbarungen
propagierte, und es war kein Ende in Sicht) anzufangen gewusst und den jungen Mann einfach nach seinem Namen gefragt.
    Dieser ignorierte ihn zuerst. Ja, es gab keinen Zweifel, der junge Mann war tatsächlich glücklich. Da nahm Wolfgang seine Trillerpfeife zwischen die Lippen und blies sehr sanft hinein. Der junge Mann hob den Kopf und schaute ihn erstaunt, aber immer noch nicht unfreundlich an.
    – Ich wollte nur wissen, wie Ihr Name ist, sagte Wolfgang.
    – Sie sprechen ihn ja doch nur falsch aus, antwortete der junge Mann.
    Wolfgang überlegte eine Weile (währenddessen blickte sein Gesprächspartner wieder woanders hin und wippte erwartungsfreudig mit dem Fuß), dann nahm er all seinen Mut zusammen und sagte:
    – Ich kenne Ihr Bild, glaube ich, Ihr Gesicht, das heißt … von einem Bild, wissen Sie. Ich bin mir da ziemlich sicher.
    Er bemerkte, dass seine Hand zu zittern begonnen hatte, als hielte er bereits das Bild, von dem er sprach. Aber es hatte sich nie in seinem Besitz befunden.
    – Wie?, fragte der junge Mann.
    – Ja, von einem Foto, sagte Wolfgang und malte mit seinen Zeigefingern und den Daumen ein kleines Fenster in die Vergangenheit in die Luft.
    – Darf ich mich zu Ihnen setzen?
    – Sicher.
    – Ich glaube, wir sind uns schon mal begegnet. Sie erinnern sich bestimmt. Meine Frau war Patientin bei –
    – Ja, natürlich.
    – Schrecklich, das alles … Finden Sie nicht?
    – Ja.
    Georg Kerfuchs’ Sohn, wenn er es wirklich war, sprach sehr leise. Er war unnatürlich bleich im Gesicht, und Wolfgang dachte instinktiv, ein paar Runden um das Fußballfeld würden ihm sicher nicht schaden. Aber vielleicht kam die fahle Farbe auch von der Beleuchtung in der Cafeteria.
    Wolfgang, der aufgrund seiner Arbeit viel mit jungen Menschen zu tun hatte, versuchte ebenfalls leise zu sprechen, um sein scheues Gegenüber nicht zu verschrecken. Welch ein Unterschied zu dem glücklichen Mann damals im Wartezimmer! Er bereitete seinen Satz vor und sagte ihn.
    – Meinen Kater?, antwortete der junge Mann. Das würde ich allerdings bezweifeln, dass Sie den gekannt haben.

    Zwei Männer im Exil. In den wenigen Wochen, die ihnen zusammen bleiben, tun sie das, was Junggesellen zusammen eben so tun. Sie betrinken sich und gehen gemeinsam in ein Bordell, wo sie mit den Frauen reden, die sehr freundlich zu ihnen sind, weil sie nicht viel Geld haben. Wolfgang macht sich anfangs Vorwürfe, weil er seine Frau mit dem Kind allein gelassen hat, aber Georg beruhigt ihn. Es gebe auch innere Bedürfnisse, sagt er, nicht nur ewige Verpflichtungen. Und außerdem sei das Leben viel komplizierter, als Wolfgang es sich vorstellen könne. Georg wohnt in einer billigen, kleinen Wohnung. Wolfgang übernachtet bei ihm, bis sich irgendwas anderes ergibt. Vom Wohnungseigentümer werden sie eines Tages im Stiegenhaus freundlich begrüßt.
    – Hey, ich wollte nur, dass ihr wisst, dass es für mich wirklich in Ordnung ist, sagt der Wohnungseigentümer. Das wollte ich euch nur sagen. Ihr zwei seid mutig.
    Sie laufen rot an, dementieren seinen Verdacht, erklären lang und breit, dass das alles ein riesengroßes Missverständnis ist, und verstecken sich anschließend voreinander: Die Mahlzeiten nehmen sie getrennt ein, in der Küche hängt ein Duschplan, auf Viertelstunden genau. Ihre Beziehung, das gemeinsame Bewusstsein, als Komplizen auf der Flucht zu sein, der

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