Die Frequenzen
zeitlang an, dann zertrat er den Kopf des sich windenden Tiers.
Er wischte die Schuhsohle an der Gehsteigkante ab, und eine zertretene Kastanienhülse blieb auf der Straße liegen.
Schnell sagte er in der Stimme seiner Frau ein paar tröstende Worte. Er achtete nicht einmal darauf, ob ihn vielleicht jemand belauschte.
– Armes Tier, aber jetzt ist es an einem besseren Ort. Der Lauf der Welt.
Die Stimme seiner Frau tat ihm unendlich gut. Die Finger seiner linken Hand spielten mit seinen Jackenknöpfen, und um sein schlagendes Herz ein wenig zu beruhigen, schaute er dreimal hintereinander auf die Uhr an seinem zitternden Handgelenk. Aber er wusste immer noch nicht, wie spät es war.
Er erschrak heftig, als er den Jungen auf sich zukommen sah. Er war völlig durchnässt – was war ihm zugestoßen? – und er hielt einen Stock, der schwarz glänzte. Steiner wich zurück, rief um Hilfe – in der Stimme seiner Frau.
Der Junge stutzte. Steiner sah sich in die Enge getrieben und attackierte ihn. Der Junge rannte davon, bald war er um einen Baum gebogen und Steiner sah ihn nicht mehr. Dann sah er ihn wieder. Er schlich sich von hinten an.
Der Junge wehrte sich und schrie. Steiners Frau half mit, ihm die schwachen Arme auf den Rücken zu drehen,und redete ihm gleichzeitig sanft zu, dass das Weinen einer solchen seelenlosen Kreatur nichts zu bedeuten habe. Ehe er sich’s versah, saß Steiner auf dem Rücken des Jungen, in diesem kalten Winkel des Parks, wo niemand sie sehen konnte, wo niemand sonst außer ihm das Verbrechen des Jungen sehen hatte können, und hatte dessen spindeldürre Arme und seinen verschwitzten Nacken fest im Griff. Steiner senkte den Kopf auf die Brust seiner Frau, die seine Stirn mit einem Luftzug streichelte und ein zutrauliches Gurren von sich gab.
Als er die Augen wieder aufmachte, knackte es zwischen seinen Fingern.
Er stand auf, verwirrt, blickte sich um – niemand. Ein Skandal, dass hier nie jemand vorbeikam! Es konnte doch weiß Gott was passieren. Er drehte sich zu dem Jungen um, der still am Boden lag. Vermutlich hatte er ihm Angst eingejagt.
Steiner suchte den Stock, mit dem er den Igel gequält hatte. Wer weiß, dachte er, wozu dieses Beweisstück noch zu gebrauchen war. Gesetzt den Fall, die Polizei würde aus den Aussagen des Jungen nicht schlau, sie würden vermutlich bei ihm läuten, dem Nachbarn, und er würde ins Badezimmer gehen und den Stock holen, mit dem der Junge den Igel gefoltert hatte.
Da, sehen Sie doch, Igelblut!
Er stand nun über dem Jungen, der vor Angst schwarz war wie der Stock, und beugte sich zu ihm hinunter:
– Das kann man mit dem Mikroskop feststellen! Mit dem Mikros
kop
!, sagte er laut, damit der Junge es auch wirklich mitbekam.
Natürlich, der Junge bewegte sich nicht, weil er Angst hatte. Er fühlte jetzt bestimmt sein kleines Herz auf und ab hüpfen. Er stellte sich tot, wie manche Käferarten. Steiner musste zugeben, dass auch er im Augenblick sein Herzschlagen fühlte. Er war eben nicht mehr der Jüngste und solche Szenen nicht mehr gewohnt. Gott sei Dank gab es eine Bank in der Nähe, auf die er sich setzen konnte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und begann mit dem Jungen zu reden. Wenn er nicht mehr weiterwusste, übernahm seine Frau für eine Weile. Es tat ihm so gut, ihre Stimme zu hören. An manchen Tagen konnte er sie überhaupt nicht mehr hören und verzweifelte bei den vergeblichen Versuchen, sie zu imitieren. Ein wirksames Zaubermittel war ihre Sammlung von Postkarten, aus Porto, aus Marokko, aus Venedig, aus Prag, aus St. Petersburg: sie und er, das immer gleiche Paar, vor ständig wechselndem Hintergrund. Sie waren die Konstante, die den Städten eine Ordnung verlieh, eine Ordnung, die die Städte ohne sie gar nicht hatten.
Jetzt war die Stimme seiner Frau ganz klar zu hören.
– Ein Tier gehört doch niemandem, hörte er sich sagen. Ein Tier ist genau wie du oder ich. Verstehst du? He, ich rede mit dir! Ich möchte wirklich nicht, dass das noch einmal vorkommt, verstehst du? Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich wirklich nicht erschrecken wollte. Ich hoffe, du verstehst mich. Es ist doch nur ein kleiner Igel, was macht das schon. Nein, nein, so hab ich das natürlich nicht gemeint. Ich habe sagen wollen, ach, ich bin mit Worten noch nie besonders gut gewesen. Ich habe sagen wollen, dass es eine Entscheidung ist, die man für sich und für sein Leben treffen muss, ob man mit den Dingen und Tieren auf dem Planeten
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