Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
Vom Netzwerk:
zusammenleben will. Hörst du mir zu? Das Tier gehört nur sich, niemandem sonst! Und was nur sich selbst gehört, das gehört niemand anderem. Ja, und deshalb kann man es auch nicht einfach so umbringen, hast du mich verstanden? Verstehst du mich? Weißt du, du bist mir schon aufgefallen. Einmal, da hab ich gesehen,wie du mit einem Ast auf einen Mieter in unserem Haus geschossen hast. Das war nicht recht, finde ich. Aber es war auch nur ein Spiel, sicher, das verstehe ich. Ich kann sehr wohl zwischen Spiel und Wirklichkeit unterscheiden. Ich bin schon seit dreißig Jahren verheiratet, weißt du? Ich habe einige Lebenserfahrung, aber wie ich dich da mit dem Astgewehr im Hof gesehen habe, weißt du, ich, also, da hat es mir die Brust zugeschnürt, weil mich das so traurig gemacht hat, dieser Anblick. Ich verstehe nicht, wie man sein Leben so wegwerfen kann, wo man doch noch so jung ist. Ich meine … ich verstehe ja nicht so viel davon, aber immerhin so viel weiß ich, nämlich dass das keine befriedigende Vorübung für das spätere Leben sein kann, das, was du jetzt machst … ich meine, schau dir nur einmal an, was du mit dem armen Igel gemacht hast! Jetzt ist er tot, ich habe ihn töten müssen. Was, wenn er Familie gehabt hat? Was, wenn er trächtig gewesen ist? Für diese Jahreszeit wäre das gar nicht ungewöhnlich, das kannst du mir glauben. Ich würde mir wünschen, dass du das, was ich dir zu sagen habe, nicht einfach so abtust. Ja, das würde dir selber helfen. Du kannst später einmal alles erreichen, was du dir heute nur vorstellen kannst, praktisch alles …
    Das meiste davon sagte Steiner laut. Vieles murmelte er nur. Aber da es im Park vollkommen still geworden war, wusste er, dass der Junge seine Worte auch so hören würde, ohne dass er sie deutlich aussprach. Alles in allem war der Junge ja kein Monster, das einer Besserung nicht fähig war.
    – Eine eigene Familie, sagte Herr Steiner, einen eigenen Arbeitsplatz. Du wirst das alles haben. Denk nur! Kein Grund, das alles für einen Igel einfach so zum Fenster hinauszuwerfen. Ein kleiner Igel gegen das Familienglück.Gegen die Verantwortung, die man hat, wenn man Kinder in die Welt setzt. Ah. Ich wünschte mir wirklich, du würdest nicht so schlecht von mir denken.
    Den letzten Satz hatte er ganz leise gesagt, mit gesenktem Kopf. Er war müde. Das lange Gespräch mit dem Jungen hatte ihn erschöpft. Sein Blick fiel auf seinen Schuh, auf einen braunen Blutfleck an der Seite. Er stand auf.
    Der Junge lag immer noch mit dem Gesicht zum Asphalt und spielte mit der Welt Verstecken. Vielleicht zählte er gerade still bis tausend und wartete, bis Steiner verschwunden war. Gut. Mehr konnte man vermutlich nicht machen. Eine schwer zu knackende Nuss, dachte Steiner und zuckte mit den Schultern. Er drehte sich zu dem verlassenen Park um, mit demonstrativ erhobenen Händen, wie um zu sagen:
Soll keiner behaupten, ich hätte mich nicht bemüht
.
    Dann ging er über den schwarzen Spazierweg davon. Am Teich wusch er sich die Hände. Sie waren voller Rindenstücke. Das Wasser roch sonderbar scharf. Der Geruch reizte seine Nase und er nieste. Seine Frau reichte ihm ein Taschentuch.
    Aber er konnte sich damit nicht schnäuzen. Es roch nach ihr.
    – Entschuldigung, fragte eine weibliche Stimme. Sie haben nicht zufällig meinen Hund gesehen? So ein kleiner, rötlicher Hund.

    Uljana war ein schreckhaftes Tier, schon oft war sie der Welt abhanden gekommen. Außerdem hatten räumliche Distanzen für sie keinerlei Bedeutung. Das letzte Mal war es an einem finsterkalten Winternachmittag passiert. EinLaternenpfahl, der nach Katzen roch, hatte dabei eine Rolle gespielt, aber die genauen Umstände dieses schwarzen Tages waren alle längst in der Versenkung verschwunden. Sie wusste nur noch: Nachdem sie wieder zuhause war, hatte sich das kleine Mädchen, das so gut roch wie sonst nur eine Steckdose, wiederholt bei ihr entschuldigt. Lange strich es über ihr Fell, wühlte mit den Fingern darin herum, als wasche sie sich ihre Hände. Und andauernd entschuldigte sie sich für irgendetwas und wurde spürbar leichter, um zwei oder drei Kilo. Kinder wiegen ja nicht viel.
    Und Uljana hatte ihr die Finger geleckt, ohne auf ihre Erklärungen einzugehen. Doch das machte das Mädchen völlig hilflos, und beinahe hätte sie die Geduld verloren, wenn sie nicht durch Zufall entdeckt hätte, dass Uljana unter den Achseln kitzlig war. Also kitzelte sie sie und Uljana schüttelte sich vor

Weitere Kostenlose Bücher