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Die Frequenzen

Die Frequenzen

Titel: Die Frequenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Lachen und japste ekstatisch nach Luft.
    Jetzt kümmerte sich jemand anders um Uljana, und das war manchmal sehr verwirrend. Im Augenblick war die Erinnerung an das überwältigende Gefühl von damals so stark, dass sie plötzlich einen Stock im Maul hatte und damit losrannte, als wäre jemand im Spiel hinter ihr her.
    Aber etwas stimmte nicht mit dem Stock.
    Sie ließ ihn fallen und drückte die Schnauze hinein. Der Geruch eines Kindes, das große Angst hatte. Vermischt mit dem herben Geruch von Kastanien, die heuer früh gefallen waren.
    Eine solche Angst durfte sie nicht mit sich herumtragen.
    Sie musste sie jemandem bringen.

    Es war ein ruhiger Tag. Gabi war seit ihrem Zusammenbruch das erste Mal wieder auf dem Balkon gewesen, hatte die grelle Welt angestarrt, hatte ein wenig an ihren Pflanzen herumgezupft, als besäßen sie so etwas wie Kleiderfalten, und war wieder hineingegangen. Jetzt saß sie langsam vor, und zurückwippend, eine lebendige Erinnerung an eine Schaukel, auf dem Sofa und blätterte mit einer Hand in einem Modemagazin. Wolfgang kümmerte sich um sie, so gut er konnte. Er näherte sich ihr immer von vorne, niemals von hinten, da sie bereits der geringste Schreck in Panik versetzen konnte.
    Am Morgen hatten sie es wild miteinander getrieben, er hatte ihr Gesicht von hinten in die Kissen gedrückt und sie an den Haaren gezogen. Jetzt tat es ihm leid. Sonst beruhigte sie ihn immer, das sei schon alles in Ordnung. Die normalen Schwierigkeiten einer Übergangszeit. Aber Wolfgang hatte bemerkt, dass Gabi heute ein wenig anders war als sonst. Er hatte einen Verdacht, woran das liegen konnte. Es war Mittwochnachmittag und sie waren nicht in die Stadt gefahren und hatten sich auch keinen Film angesehen oder ausgeborgt. Natürlich war daran niemand schuld, dachte Wolfgang. Er stand in der Tür und beobachtete seine Frau. Als sie ihren Blick hob und ihn entdeckte, wich er zuerst zurück, als hätte er etwas Verbotenes getan, dann überwand er sich und ging zu ihr.
    – Was machst du?, fragte er.
    – Hm. Nichts.
    – Alles in Ordnung?
    Sie blätterte eine Seite um.
    – Sollen wir irgendwas spielen?, fragte Wolfgang.
    Der Satz verfehlte seine Wirkung nicht.
    – Du musst mich nicht beschäftigen, sagte Gabi. Ich habe ja mit dem Kind genug zu tun.
    Sie legte sich hin, indem sie sich einfach auf die Seite fallen ließ. Er wich ihr aus, stand vom Sofa auf und ging im Zimmer herum.
    – Du kommst schon wieder auf die Beine, sagte er.
    Sie drehte sich von ihm weg. Ihr Gesicht verschwand in der Sitzbeuge des Sofas.
    – Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst, sagte Wolfgang. Aber das geht vorbei. Und wenn es nicht vorbeigeht, dann lernen wir halt, damit zu leben.
    Es dauerte lange, bis Gabi antwortete.
    – Nein, sagte sie leise.
    – Doch, sagte Wolfgang und nahm wie zur Bestätigung seiner kühnen Theorie die Fernbedienung vom Tisch und drückte ein paar Knöpfe.
    – Mmh, machte Gabi.
    – Zuerst klappern wir hier alle Therapeuten ab, und wenn das nichts hilft, dann überall sonst. Das sind ziemlich viele, wir haben noch lange nicht alle Karten verspielt.
    Er merkte, dass er mit sich selbst sprach. Gabi lag da, ein Stein, eine unbewegliche Grenzmarkierung. Hinter der Oberfläche, hinter dem hübschen Gesicht, das sie immer noch in den Sofabezug gedrückt hielt, hinter den Schultern, dem leicht gekrümmten Rücken und den zwei angewinkelten Beinen lag ein tiefer Burggraben, den er nicht einfach so überschreiten konnte. Zumindest jetzt nicht. Das Einzige, was ihm erlaubt war, war ein Blick auf die uneinnehmbare Festung ihres Leidens. Er nahm sich vor, einmal beim Sex mit ihr über diese Dinge zu sprechen, vielleicht bekam er dann endlich eine Antwort. Aber er wusste auch, dass das ein gefährliches Spiel war. Wenn sie in Fahrt kam, war sie imstande, ihm die Nase zu brechen.
    Wolfgang hob die Fernbedienung auf und richtete sie auf Gabis Rücken, überließ sich eine Weile dem männlichen Genuss des Zielens, und feuerte dann zwei konzentrierte Infrarotsignale auf sie ab. Zweimal
Ton Aus
, das kleine Symbol, das wohl einen zweimal durchgestrichenen Grammophontrichter darstellen sollte.
    Stille, Stille.
    Gabis Körper hob und senkte sich, sie atmete die gleiche Luft wie er und wusste doch in diesem Augenblick nicht einmal mehr, dass er hinter ihr stand. Oder es interessierte sie nicht, weil sie eingeschlafen war. Das waren die Tabletten. Ihr normaler Tag-und-Nacht-Rhythmus war vollkommen durcheinandergekommen. Sie

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