Die Freude am Leben
Jungen, daß er jeden Tag so hereinkam; und da er ihn nicht beunruhigen noch die Pariser Anschauungen bekämpfen wollte, unterhielt er ihn lieber endlos über seinen Garten, während der junge Mann, dem der Kopf von unnützen Worten brummte, sich zuweilen nahe daran glaubte, wieder in das glückliche Alter der Unwissenheit zurückzukehren, in dem man keine Angst mehr hat.
Aber die morgendlichen Gespräche folgten einander, und gleichwohl fand Lazare sich des Abends mit der Erinnerung an seine Mutter in seinem Zimmer wieder, ohne den Mut zu haben, seine Lampe auszulöschen. Der Glaube war tot. Eines Tages, als er mit Abbé Horteur rauchend auf der Bank saß, ließ letzterer seine Pfeife verschwinden, als er Schritte hinter den Birnbäumen hörte. Pauline kam und wollte ihren Cousin holen.
»Der Doktor ist da«, erklärte sie, »und ich habe ihn zum Mittagessen eingeladen ... Komm gleich heim, ja?«
Sie lächelte, denn sie hatte die Pfeife unter dem Kittel des Abbés bemerkt. Dieser nahm sie sogleich wieder hervor mit dem gutmütigen Lachen, das er jedesmal hatte, wenn man ihn rauchen sah.
»Es ist zu dumm«, sagte er. »Man könnte meinen, ich beginge ein Verbrechen ... Da, vor Ihren Augen will ich mir wieder eine anzünden.«
»Wissen Sie was, Herr Pfarrer«, fuhr Pauline fröhlich fort, »kommen Sie zu uns zum Essen mit dem Doktor, und die da, die rauchen Sie zum Nachtisch.«
Entzückt rief der Priester sogleich:
»Nun gut, ich nehme an! ... Gehen Sie nur schon, ich werde indes meine Soutane überziehen. Und meine Pfeife bringe ich mit, Ehrenwort!«
Es war das erste Mittagsmahl, bei dem wieder einmal Lachen ertönte. Abbé Horteur rauchte zum Nachtisch, was die Tischgenossen erheiterte: doch er leistete sich diesen Genuß mit einer solchen Freimütigkeit, daß es sogleich als etwas ganz Natürliches erschien. Chanteau hatte viel gegessen, und er entspannte sich, erleichtert durch diesen Lebenshauch, der wieder ins Haus wehte. Doktor Cazenove erzählte Geschichten von Wilden, während Pauline strahlte, froh über diese Aufgeräumtheit, die Lazare zerstreuen und ihn vielleicht aus seiner düsteren Stimmung herausreißen würde.
Von nun an wollte das junge Mädchen die durch den Tod ihrer Tante unterbrochenen samstäglichen Abendmahlzeiten wiederaufnehmen. Der Pfarrer und der Arzt kamen regelmäßig, das Leben von früher begann von neuem. Man scherzte, der Witwer schlug sich auf die Beine und sagte, daß er ohne diese verfluchte Gicht tanzen würde, so heiter sei noch sein Gemüt. Nur der Sohn blieb innerlich zerrüttet; wenn er sprach, tat er es mit falschem Schwung, plötzlich erschauernd inmitten seiner Wortausbrüche.
An einem Samstagabend, man war gerade beim Braten, wurde Abbé Horteur zu einem Sterbenden gerufen. Er trank sein Glas nicht aus, er ging, ohne auf den Doktor zu hören, der den Kranken gesehen hatte, bevor er zum Abendessen kam, und der ihm nachrief, er werde seinen Mann tot vorfinden. An jenem Abend hatte sich der Priester von solcher Gedankenarmut gezeigt, daß Chanteau selber hinter seinem Rücken erklärte:
»Es gibt Tage, an denen er nicht gerade geistreich ist.«
»Ich wollte, ich wäre an seiner Stelle«, sagte Lazare grob. »Er ist glücklicher als wir.«
Der Doktor begann zu lachen.
»Vielleicht. Aber Mathieu und Minouche sind auch glücklicher als wir ... Ach! Da erkenne ich unsere jungen Leute von heute, die von den Wissenschaften gekostet haben und krank davon sind, weil sie in ihnen nicht die alten Vorstellungen vom Absoluten befriedigen konnten, die sie mit der Muttermilch eingesogen haben. Ihr möchtet in den Wissenschaften mit einem Schlage und in Bausch und Bogen alle Wahrheiten finden, wo wir sie doch kaum erst entziffern und sie ohne Zweifel immer nur ein ewiges Suchen bleiben werden. Dann schwört ihr ihnen ab, stürzt euch wieder in den Glauben, der nichts mehr von euch wissen will, und verfallt dem Pessimismus ... Ja, das ist die Krankheit vom Ende dieses Jahrhunderts, in euch ist Werther auferstanden.«
Er geriet in Eifer, das war seine Lieblingsthese. In ihren Diskussionen übertrieb Lazare wiederum seine Verneinung jeglicher Gewißheit, seinen Glauben an das allgemeine, endgültige Übel.
»Wie soll man leben«, fragte er, »wenn einem in jedem Augenblick die Dinge unter den Füßen einkrachen?«
Der alte Mann bekam eine Aufwallung jugendlicher Leidenschaft.
»Aber so leben Sie doch! Genügt es denn nicht, zu leben? Die Freude liegt im Tätigsein.«
Und
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