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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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unvermittelt wandte er sich an Pauline, die lächelnd zuhörte.
    »Nun, sagen Sie ihm doch, wie Sie es machen, um immer zufrieden zu sein.«
    »Oh, ich!« erwiderte sie in scherzhaftem Ton. »Ich versuche, mich zu vergessen, aus Furcht, traurig zu werden, und ich denke an die anderen, das beschäftigt mich und läßt mich das Übel in Geduld hinnehmen.«
    Diese Antwort schien Lazare zu ärgern, der aus einem Bedürfnis nach boshaftem Widerspruch behauptete, die Frauen müßten Religion haben. Er tat so, als verstehe er nicht, weshalb sie seit langem aufgehört hatte, zur Kirche zu gehen. Und sie gab in ihrer friedlichen Art ihre Gründe an.
    »Das ist ganz einfach, die Beichte hat mich verletzt, ich denke, viele Frauen sind wie ich ... Außerdem ist es mir unmöglich, Dinge zu glauben, die mir unvernünftig scheinen. Wozu also lügen und so tun, als heiße man sie gut? Im übrigen beunruhigt mich das Unbekannte nicht, es kann nur logisch sein, das Beste ist, so brav wie möglich abzuwarten.«
    »Seid still, da kommt der Abbé«, unterbrach Chanteau, den diese Unterhaltung langweilte.
    Der Mann war gestorben, der Abbé beendete ruhig das Abendessen, und man trank ein Gläschen Chartreuse.
    Jetzt hatte Pauline mit der lachenden Reife einer guten Hausfrau die Leitung des Hauses in die Hand genommen. Die Einkäufe, die geringsten Einzelheiten geschahen unter ihren Augen, und das Schlüsselbund hing an ihrem Gürtel. Das hatte sich ganz natürlich entwickelt, ohne daß Véronique sich darüber zu ärgern schien. Das Hausmädchen blieb indessen seit dem Tode Frau Chanteaus mürrisch und gleichsam stumpfsinnig. Es schien sich in ihr neuerlich eine Wandlung zu vollziehen, eine Rückkehr ihrer Zuneigung zu der Toten, während sie sich Pauline gegenüber wieder von mißtrauischer Übellaunigkeit zeigte. Diese mochte noch so sanft mit ihr sprechen, Véronique fühlte sich durch ein Wort beleidigt, man hörte, wie sie sich, ganz allein in ihrer Küche, beklagte. Und wenn sie nach langem hartnäckigem Schweigen solchermaßen laut dachte, kam immer wieder die Bestürzung über die Katastrophe in ihr zum Vorschein. Wußte sie denn, daß Frau Chanteau sterben würde? Gewiß hätte sie dann niemals gesagt, was sie gesagt hatte. Gerechtigkeit vor allem, man durfte die Leute nicht umbringen, selbst wenn die Leute Fehler hatten. Im übrigen wusch sie ihre Hände in Unschuld, um so schlimmer für die Person, die die wahre Ursache des Unglücks war! Aber diese Beteuerung beruhigte sie nicht, sie fuhr fort zu murren, indem sie sich gegen ihre eingebildete Schuld sträubte.
    »Was zermarterst du dir eigentlich so das Hirn?« fragte Pauline sie eines Tages. »Wir haben unser möglichstes getan, man vermag nichts gegen den Tod.«
    Véronique schüttelte den Kopf.
    »Lassen Sie, man stirbt nicht so ... Mag Frau Chanteau gewesen sein, wie sie will, aber sie hat mich aufgenommen, als ich noch ganz klein war, und ich würde mir die Zunge abschneiden, wenn ich mir sagen müßte, daß ich irgendwie schuld hätte an dieser Geschichte ... Reden wir nicht darüber, es würde übel enden.«
    Das Wort Heirat war zwischen Pauline und Lazare nicht mehr ausgesprochen worden. Chanteau, zu dem sich das junge Mädchen mit einer Näharbeit setzte, um ihm die Zeit zu vertreiben, hatte einmal gewagt, eine Anspielung zu machen, in dem Wunsche, jetzt, da das Hindernis verschwunden war, damit zum Schluß zu kommen. Es war bei ihm vor allem das Bedürfnis, sie zu behalten, der Schrecken davor, wieder in die Hände des Hausmädchens zu geraten, wenn er sie jemals verlor. Pauline hatte zu verstehen gegeben, daß man vor dem Ende des Trauerjahres nichts entscheiden könne. Nicht allein die Schicklichkeit gab ihr dieses vernünftige Wort ein, sie erwartete von der Zeit auch die Antwort auf eine Frage, die sie sich nicht selber zu stellen wagte. Ein so jäher Tod, dieser schreckliche Schlag, von dem sie und ihr Cousin immer noch erschüttert waren, hatte gleichsam zu einem Burgfrieden in ihren blutenden Empfindungen geführt. Sie erwachten nach und nach daraus, um noch immer zu leiden, als sie unter dem unersetzlichen Verlust ihr eigenes Drama wiederfanden: Louise, die ertappt und verjagt worden war, ihrer beider zerstörte Liebe, ihr vielleicht verändertes Dasein. Was sollte man jetzt beschließen? Liebten sie sich noch immer, war die Heirat noch möglich und vernünftig? Das schwang in der Betäubung, in der die Katastrophe sie zurückließ, ohne daß weder der eine

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