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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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würde ihnen Nachricht geben, würde sie rufen, wenn man Hilfe brauchte. Sie zogen sich schweigend zurück. Unten im Eßzimmer war Chanteau vor dem immer noch gedeckten Tisch eingeschlafen. Mitten in seinem kleinen Nachtmahl, das er, um sich zu zerstreuen, möglichst lang ausgedehnt hatte, mußte ihn der Schlaf übermannt haben, denn die Gabel lag noch am Rand des Tellers, auf dem sich ein Rest Kalbfleisch befand. Als Pauline hereinkam, mußte sie die Lampe höher schrauben, denn sie blakte und war am Verlöschen.
    »Wecken wir ihn nicht«, murmelte Pauline. »Er braucht nichts zu erfahren.«
    Leise setzte sie sich auf einen Stuhl, während Lazare unbeweglich stehen blieb. Ein entsetzliches Warten begann, keiner von beiden sagte ein Wort, sie vermochten nicht einmal die Angst ihrer Blicke zu ertragen und wandten den Kopf ab, sowie ihre Augen sich begegneten. Und kein Geräusch drang von oben zu ihnen, die schwächer gewordenen Klagelaute waren nicht mehr zu hören, sie lauschten vergeblich, ohne etwas anderes wahrzunehmen als das Dröhnen ihres eigenen Fiebers. Vor allem diese Totenstille machte ihnen auf die Dauer angst. Was ging bloß vor? Warum hatte man sie hinausgeschickt? Lieber hätten sie die Schreie ertragen, den Kampf, etwas Lebendiges, das sich noch über ihren Köpfen wehrte. Die Minuten verflossen, und das Haus versank immer mehr in dieses Nichts. Endlich öffnete sich die Tür, Doktor Cacenove trat ein.
    »Nun?« fragte Lazare, der sich Pauline gegenüber hingesetzt hatte.
    Der Doktor antwortete nicht gleich. Das dunstige Licht der Lampe, jenes trübe Licht der langen Nachtwachen, beleuchtete schwach sein sonnverbranntes alles Gesicht, in dem die starken Gemütsbewegungen nur die Furchen blaß werden ließen. Aber als er sprach, ließ der gebrochene Ton seiner Worte den Kampf erkennen, der sich in ihm abspielte.
    »Ich habe noch nichts unternommen«, erwiderte er. »Ich will nichts unternehmen, ohne Sie zu Rate zu ziehen.«
    Und mit einer mechanischen Bewegung strich er sich mit den Fingern über die Stirn, als wollte er ein Hindernis verscheuchen, einen Knoten, den er nicht zu lösen vermochte.
    »Aber es ist nicht an uns, zu entscheiden, Doktor«, sagte Pauline. »Wir vertrauen sie Ihren Händen an.«
    Er schüttelte den Kopf. Eine lästige Erinnerung ließ ihn nicht los, er erinnerte sich an einige Negerinnen, die er in den Kolonien entbunden hatte, insbesondere an ein großes Mädchen, bei dessen Kind die Schulter ebenso vorgelagert war; das Mädchen war gestorben, während er es von einem Bündel Fleisch und Knochen befreite. Für die Marineärzte war es die einzige Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, daß sie den Frauen gelegentlich den Bauch aufschnitten, wenn sie dort unten Spitaldienst machten. Seitdem er sich nach Arromanches zurückgezogen, hatte er sehr wohl Entbindungen vorgenommen und die Fertigkeiten der Routine erlangt; aber der schwierige Fall, mit dem er es hier in diesem befreundeten Haus zu tun hatte, lieferte ihn wieder seiner ganzen früheren Unschlüssigkeit aus. Er zitterte wie ein Anfänger, ängstlich auch im Hinblick auf seine alten Hände, die nicht mehr die Kraft der Jugend hatten.
    »Ich muß Ihnen die ganze Wahrheit sagen«, begann er wieder. »Mutter und Kind scheinen mir verloren ... Vielleicht wäre es noch Zeit, einen von beiden, die Mutter oder das Kind, zu retten ...«
    Lazare und Pauline waren aufgestanden, vom gleichen Schauder erstarrt. Chanteau, der von dem Geräusch der Stimmen aufgewacht war, schaute mit trüben Augen drein und hörte verstört den Dingen zu, die man in seiner Gegenwart besprach.
    »Wen soll ich zu retten versuchen?« wiederholte der Arzt, der ebenso zitterte wie die armen Leute, denen er diese Frage stellte. »Das Kind oder die Mutter?«
    »Wen? Mein Gott!« rief Lazare aus. »Weiß ich es denn? Kann ich es sagen?«
    Tränen erstickten ihn von neuem, während seine Cousine, die sehr bleich war, angesichts dieser furchtbaren Alternative stumm blieb.
    »Wenn ich die Wendung versuche«, fuhr der Doktor fort, der seine Unsicherheit ganz laut erörterte, »wird das Kind zweifellos als Brei herauskommen. Und ich fürchte die Mutter zu quälen, sie leidet schon viel zu lange ... Andererseits würde der Kaiserschnitt das Leben des Kindes retten; aber der Zustand der armen Frau ist nicht so hoffnungslos, daß ich mich berechtigt fühle, sie auf diese Weise zu opfern ... Das ist eine Gewissensfrage; ich bitte Sie inständig, selbst zu

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