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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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entscheiden.«
    Schluchzen hinderte Lazare zu antworten. Er hatte sein Taschentuch genommen und hielt es krampfhaft in seinen Händen, in dem Bemühen, ein wenig von seiner Vernunft wiederzufinden. Chanteau sah noch immer bestürzt zu. Und Pauline stellte schließlich die Frage:
    »Warum sind Sie heruntergekommen? Warum quälen Sie uns, wenn Sie der einzige sind, der entscheiden und handeln kann?«
    Da kam Frau Bouland und verkündete, daß der Zustand sich verschlimmere.
    »Haben Sie sich entschieden? Die Kräfte der Mutter schwinden.«
    Da umarmte der Doktor Lazare in einer jener verwirrenden plötzlichen Aufwallungen und duzte ihn.
    »Hör zu, ich will versuchen, beide zu retten. Und wenn sie sterben, werde ich mehr Kummer haben als du, weil ich glauben muß, es sei durch meine Schuld geschehen.«
    Mit der Lebhaftigkeit eines entschlossenen Mannes sprach er rasch über die Anwendung des Chloroforms. Er hatte alles Notwendige mitgebracht, doch gewisse Anzeichen ließen ihn eine Blutung befürchten, also eine deutliche Kontraindikation. Die Ohnmachten und der schwache Puls erfüllten ihn mit Besorgnis. Daher auch widerstand er dem Flehen der Familie, die um Chloroform bat, krank von den Leiden, die sie seit fast vierundzwanzig Stunden teilte; und er wurde in seiner Ablehnung durch die Haltung der Hebamme ermutigt, die vor Widerwillen und Verachtung die Achseln zuckte.
    »Ich entbinde an die zweihundert Frauen im Jahr«, murmelte sie. »Glauben Sie, die brauchen so was, um ihre Kinder zu kriegen? Sie leiden eben, alle Welt leidet!«
    »Geht hinauf, Kinder«, begann der Doktor wieder. »Ich werde euch brauchen ... Und außerdem möchte ich euch lieber in meiner Nähe wissen.«
    Alle verließen das Eßzimmer, als Chanteau endlich zu sprechen begann. Er rief seinen Sohn.
    »Komm, umarme mich ... Ach, die arme Louisette! Ist es nicht schrecklich, solche Geschichten in einem Augenblick, wo man nicht darauf gefaßt ist? Wenn es wenigstens Tag wäre! ... Sag mir Bescheid, wenn es vorbei ist.«
    Wieder blieb er allein in dem Zimmer. Die Lampe blakte, er schloß die Lider, von der trüben Helligkeit geblendet, erneut von Schlaf übermannt. Einige Minuten kämpfte er dagegen an, indem er seine Blicke über das Geschirr auf dem Tisch und das Durcheinander der Stühle gleiten ließ, über denen noch die Servietten hingen. Aber die Luft war zu schwer, die Stille zu erdrückend. Er unterlag, seine Lider schlossen sich wieder, über seine Lippen drangen kurze regelmäßige Atemzüge mitten in der tragischen Unordnung der am Abend zuvor unterbrochenen Mahlzeit.
    Oben riet Doktor Cazenove, im Nebenzimmer, dem ehemaligen Schlafzimmer Frau Chanteaus, ein großes Feuer zu machen: Man könne es nach der Entbindung nötig haben. Véronique, die während der Abwesenheit der Hebamme bei Louise gewacht hatte, machte sich sofort daran. Dann wurden alle Vorkehrungen getroffen, man legte noch mehr feines Leinenzeug vor den Kamin, man brachte eine zweite Waschschüssel, man holte von unten einen Kessel mit heißem Wasser, einen Liter Branntwein und einen Teller Schweineschmalz. Der Doktor hielt es für seine Pflicht, die Gebärende in seinen Plan einzuweihen.
    »Mein liebes Kind«, sagte er. »Beunruhigen Sie sich nicht, aber ich muß unbedingt einen Eingriff vornehmen ... Ihr Leben ist uns allen teuer, und wenn auch das arme Kleine bedroht ist, so können wir Sie doch nicht länger so lassen ... Sie erlauben mir zu handeln, nicht wahr?«
    Louise schien nicht mehr zu hören. Durch die Anspannungen, die wider ihren Willen fortdauerten, steif geworden, lag sie mit offenem Mund da, den Kopf nach links auf das Kissen gerollt, und gab einen leisen, fortgesetzten Klagelaut von sich, der einem Röcheln glich. Als ihre Lider sich hoben, sah sie verwirrt die Zimmerdecke an, als sei sie an einem unbekannten Ort erwacht.
    »Sie erlauben?« wiederholte der Doktor.
    Da stammelte sie:
    »Töten Sie mich, töten Sie mich sofort.«
    »Machen Sie schnell, ich flehe Sie an«, flüsterte Pauline dem Arzt zu. »Wir nehmen die Verantwortung für alles auf uns.«
    Er ließ dennoch nicht ab und sagte zu Lazare:
    »Ich stehe für sie ein, wenn nicht eine Blutung eintritt. Doch das Kind scheint mir verloren. Von zehn bleibt unter diesen Umständen nur eins am Leben, denn es gibt immer Verletzungen und Brüche, manchmal werden sie völlig zerdrückt.«
    »Machen Sie, machen Sie, Doktor«, erwiderte der Vater mit einer verzweifelten Gebärde.
    Das Gurtbett war nicht

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