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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Tante, den Koffer zu packen. Als dann Vater Malivoire Lazare in seiner alten Berline mitgenommen hatte, lief sie in ihr Zimmer, schloß sich ein, weinte lange. Am Abend war sie sehr nett zu Louise, und die acht Tage, die diese noch in Bonneville verbrachte, waren bezaubernd. Als der Diener ihres Vaters sie wieder abholen kam und erklärte, Herr Thibaudier habe seine Bank nicht verlassen können, umarmten die beiden kleinen Freundinnen einander stürmisch und schworen, sich immer zu lieben.
    Jetzt ging langsam ein Jahr dahin. Frau Chanteau hatte ihre Ansicht geändert: Statt Pauline ins Pensionat zu schicken, behielt sie sie bei sich, wozu sie vor allem durch die Klagen ihres Mannes bewogen wurde, der die Kleine nicht mehr entbehren konnte; aber sie gestand sich diesen eigennützigen Grund nicht ein, sie sprach davon, daß sie selber Paulines Ausbildung übernehmen wolle, und war ganz verjüngt bei dem Gedanken, auf diese Weise wieder zum Unterrichten zu kommen. Im Pensionat hören die kleinen Mädchen häßliche Dinge, sie wollte für die vollkommene Unschuld ihrer Schülerin einstehen können. Man fischte aus der Tiefe von Lazares Bücherschrank wieder eine Grammatik, ein Rechenbuch, ein Geschichtsbuch, ja sogar einen kurzen Abriß über die Göttersagen hervor; und Frau Chanteau schwang wieder für eine Stunde am Tag den Schulmeisterstock bei Diktaten, Rechenaufgaben, beim Aufsagen von Gedichten. Lazares großes Zimmer wurde in ein Studierzimmer umgewandelt. Pauline mußte sich wieder ans Klavier setzen, ganz zu schweigen davon, daß ihre Tante ihr die Grundsätze des feinen Anstands streng vor Augen führte, um ihr das jungenhafte Benehmen abzugewöhnen; im übrigen war sie gelehrig und klug, sie lernte gern, selbst wenn der Stoff ihr zuwider war. Ein einziges Buch langweilte sie, der Katechismus. Sie hatte noch nicht begriffen, weshalb ihre Tante sich sonntags die Mühe machte, sie zur Messe zu führen. Wozu? In Paris war man niemals mit ihr in die Kirche SaintEustache gegangen, die sich doch nahe bei ihrem Hause befand. Die abstrakten Vorstellungen drangen nur sehr schwer in ihr Hirn ein, ihre Tante mußte ihr erklären, daß ein wohlerzogenes Fräulein auf dem Lande sich nicht davon frei machen könne, dadurch ein gutes Beispiel zu geben, daß es dem Pfarrer gegenüber höflich war. Sie selbst war immer nur zur Messe gegangen, weil es sich eben so schickte und weil es zu einer guten Erziehung gehörte, ebenso wie der Anstand.
    Das Meer indessen brandete täglich zweimal mit dem ewigen Auf und Ab seiner Dünung gegen Bonneville, und Pauline wuchs im Anblick der unermeßlichen Weite heran. Sie spielte nicht mehr, weil sie keinen Gefährten hatte. Wenn sie mit Mathieu um die Terrasse galoppiert war oder hinten im Gemüsegarten auf ihrer Schulter Minouche spazierengetragen hatte, war es ihre einzige Erholung, das Meer zu betrachten, das immer lebendig war, fahlgrau im düsteren Dezemberwetter, von zartem, schillerndem Grün bei den ersten Maisonnenstrahlen. Das Jahr verlief im übrigen glücklich, das Glück, das ihre Gegenwart ins Haus gebracht zu haben schien, äußerte sich überdies in einer unerwarteten Übersendung von fünftausend Francs, die Davoine den Chanteaus zukommen ließ, um einen Bruch zu vermeiden, mit dem sie ihm drohten. Sehr gewissenhaft fuhr die Tante jedes Vierteljahr nach Caen, um Paulines Zinsen in Empfang zu nehmen, zog ihre Auslagen und das vom Familienrat bewilligte Kostgeld ab und kaufte dann mit dem Rest neue Wertpapiere; und wenn sie heimkam, wünschte sie, daß die Kleine sie auf ihr Zimmer begleitete, und sie öffnete das bewußte Schubfach des Sekretärs und wiederholte dabei immer:
    »Du siehst, ich lege dies zu den anderen ... Na? Der Haufen nimmt zu. Hab keine Angst, du wirst alles wiederfinden, es wird nicht ein Centime daran fehlen.«
    Im August schneite eines schönen Morgens Lazare herein und brachte die Nachricht von einem vollen Erfolg bei seiner Jahresabschlußprüfung mit. Er sollte erst eine Woche später kommen, er hatte seine Mutter überraschen wollen. Das gab eine große Freude. In den Briefen, die er alle vierzehn Tage schrieb, hatte er eine wachsende Leidenschaft für die Medizin bekundet. Als er da war, erschien er ihnen völlig verändert, weil er nicht mehr von Musik sprach und sie schließlich langweilte mit seinen wissenschaftlichen Abhandlungen über alles nur Erdenkliche, über die Gerichte, die aufgetragen wurden, über den Wind, der wehte. Eine neue

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