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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sie zur »Mutter der Tiere« machte, wie ihre Tante sagte. Alles, was lebte, alles, was litt, erfüllte sie mit tätiger Liebe, mit einem Überschwang von Fürsorge und Liebkosungen. Sie hatte Paris vergessen, ihr schien, als sei sie hier aufgewachsen, auf diesem rauhen Boden, beim reinen Wehen der Seewinde. In weniger als einem Jahr war aus dem Kind mit den zögernd sich andeutenden Formen ein schon kräftiges junges Mädchen mit festen Hüften und vollen Brüsten geworden. Und die Verwirrung über dieses Erblühen beunruhigte sie nicht länger, das Unbehagen über ihren von Lebenskraft geschwellten Körper, die ängstliche Bestürzung über ihren voller werdenden Busen, über den dunkleren feinen Flaum auf ihrer atlasglänzenden braunen Haut. Im Gegenteil, jetzt hatte sie Freude an ihrem Aufblühen, hatte sie das sieghafte Empfinden, zu wachsen und in der Sonne zu reifen. Das aufsteigende und in rotem Regen hervorquellende Blut machte sie stolz. Vom Morgen bis zum Abend erfüllte sie das Haus mit den Trillern ihrer jetzt tieferen Stimme, die sie nun schön fand; und wenn beim Zubettgehen ihre Blicke über die blühende Rundung ihrer Brüste glitten, bis zu dem Tintenfleck, der ihren purpurnen Unterleib beschattete, lächelte sie, sog sie einen Augenblick ihren Wohlgeruch ein, gleich dem eines frischen Straußes, glücklich über ihren neuen Duft, den Duft des Weibes. Es war das Leben, das sie willig annahm, das Leben, das sie ohne Widerwillen noch Angst in seinen Funktionen liebte und das sie mit dem triumphierenden Lied der Gesundheit begrüßte.
    Lazare schrieb in jenem Jahr sechs Monate lang nicht. Kaum daß kurze Mitteilungen die Familie beruhigten. Dann überschüttete er seine Mutter Schlag auf Schlag mit Briefen. Bei den Prüfungen im November war er wiederum durchgefallen; mehr und mehr angewidert vom Medizinstudium, das allzu traurige Stoffgebiete behandelte, hatte er sich abermals in eine andere Leidenschaft gestürzt, die Chemie. Durch Zufall hatte er die Bekanntschaft des berühmten Herbelin gemacht, dessen Entdeckungen damals die Wissenschaft in Aufruhr versetzten, und er war als Präparator in dessen Laboratorium eingetreten, ohne jedoch zuzugeben, daß er die Medizin aufgegeben hatte. Aber bald waren seine Briefe erfüllt von einem zunächst schüchtern, nach und nach begeistert vertretenen Plan. Es handelte sich um eine umfangreiche Nutzung der Meeresalgen, die dank den von dem berühmten Herbelin entdeckten neuen Methoden und Reagenzien Millionen einbringen sollte. Lazare zählte die Erfolgsaussichten auf: die Hilfe des großen Chemikers, die Leichtigkeit, sich den Rohstoff zu verschaffen, die wenig kostspielige Anlage. Schließlich teilte er seinen ausdrücklichen Wunsch mit, nicht Arzt zu werden; scherzend sagte er, er wolle lieber den Kranken Heilmittel verkaufen als sie selber umbringen. Mit der Beweisführung, wie er dadurch schnell zu Reichtum gelangen werde, schloß jeder seiner Briefe, in denen er außerdem seine Familie mit dem Versprechen blendete, sie nicht mehr zu verlassen und die Fabrik dort unten bei Bonneville zu errichten.
    Die Monate vergingen. Lazare war in den Ferien nicht nach Hause gekommen. Den ganzen Winter über schilderte er dergestalt sein Vorhaben in allen Einzelheiten auf eng beschriebenen Seiten, die Frau Chanteau abends nach dem Essen laut vorlas. An einem Abend im Mai fand eine große Beratung statt, denn er verlangte eine entscheidende Antwort. Véronique schlich herum, nahm das Tischtuch ab, legte die Decke wieder auf.
    »Er kommt ganz und gar nach seinem Großvater, einem Wirrkopf und Unternehmungsgeist«, erklärte die Mutter und warf einen Blick auf das Meisterwerk des einstigen Zimmermannsgesellen auf dem Kamin, über das sie sich immer noch ärgerte.
    »Gewiß, nach mir kommt er nicht, denn mir graut vor Veränderungen«, murmelte Chanteau zwischen zwei Klagelauten, in seinem Sessel ausgestreckt, wo er das Ende eines Anfalls überstand. »Aber du, meine Gute, du bist auch nicht sehr ruhig.«
    Sie zuckte die Achseln, wie um zu sagen, daß ihr Tätigkeitsdrang auf Logik beruhe und von Logik gelenkt werde. Dann begann sie langsam wieder:
    »Nun, was meint ihr? Man muß ihm schreiben, er soll nach seinem Kopf handeln ... Ich hätte ihn gern im Richteramt gesehen; Arzt, das war schon nicht sehr passend; und nun ist er Apotheker ... Soll er zurückkommen und viel Geld verdienen, das ist immerhin etwas.«
    Im Grunde gab der Gedanke an das Geld für sie den Ausschlag.

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