Die Freude am Leben
Pauline, warum der Blutstrom ihrer Geschlechtsreife wie aus einer reifen, bei der Weinlese zerstampften Traube hervorgesprudelt war. Dieses jetzt aufgeklärte Mysterium stimmte sie ernst angesichts der Lebensflut, die sie in sich steigen fühlte. Sie hegte Verwunderung und Groll ob des Schweigens ihrer Tante, ob der völligen Unwissenheit, in der diese sie hielt. Warum nur ließ man zu, daß sie sich so erschreckte? Das war nicht richtig, es war nichts Schlechtes dabei, wenn man darum wußte.
Im übrigen ereignete sich zwei Monate lang nichts wieder. Frau Chanteau sagte eines Tages:
»Wenn es dir wieder so geht wie im Dezember, du erinnerst dich, dann erschrick bloß nicht ... Das wäre besser.«
»Ja, ich weiß«, erwiderte das junge Mädchen ruhig.
Ihre Tante sah sie entgeistert an.
»Was weißt du denn?«
Da errötete Pauline bei dem Gedanken, daß sie lügen müsse, um noch länger zu verheimlichen, was sie las. Lügen war ihr unerträglich, sie zog es vor zu beichten. Als Frau Chanteau die auf dem Tisch liegenden Bücher aufschlug und die Bildtafeln erblickte, war sie wie versteinert. Sie, die sich so viel Mühe gab, um Jupiters Liebschaften als unschuldig hinzustellen! Wirklich, Lazare hätte solche abscheulichen Sachen unter Verschluß halten müssen. Und ausführlich befragte sie die Schuldige, mit allen möglichen Vorsichtsmaßnahmen und versteckten Andeutungen. Aber Pauline brachte sie schließlich mit ihrer unbefangenen Art in Verlegenheit. Nun, was denn? Man war nun einmal so geschaffen, dabei gab es nichts Schlimmes. Ihre rein geistige Leidenschaft kam zum Ausbruch, noch regte sich keine heimliche Sinnlichkeit in ihren großen klaren Kinderaugen. Sie hatte auf demselben Brett Romane gefunden, deren sie gleich bei den ersten Seiten überdrüssig geworden, so sehr langweilten sie sie, so vollgestopft waren sie mit Redensarten, von denen sie nichts verstand. Ihre Tante, die immer mehr aus der Fassung geriet, sich jedoch auch ein wenig beruhigt fühlte, begnügte sich damit, den Schrank abzuschließen und den Schlüssel an sich zu nehmen. Acht Tage später lag der Schlüssel wieder herum, und Pauline gestand es sich hin und wieder gleichsam als Erholung zu, das Kapitel über die Neurosen zu lesen, wobei sie an ihren Cousin dachte, oder über die Behandlung der Gicht, mit dem Gedanken, ihrem Onkel Erleichterung zu verschaffen.
Im übrigen tat man sich trotz Frau Chanteaus Strenge in Paulines Gegenwart kaum Zwang an. Schon die wenigen Tiere des Hauses hätten sie aufgeklärt, wenn sie die Bücher nicht aufgeschlagen hätte. Minouche vor allem erregte ihr Interesse. Diese Minouche war ein liederliches Weibsbild, das sich viermal im Jahr fürchterlich herumtrieb. Sie, die sonst so zart war, die sich unaufhörlich putzte und die Pfoten nur mit Schaudern vor die Tür setzte, aus Furcht, sich schmutzig zu machen, verschwand plötzlich für zwei oder drei Tage. Man hörte, wie sie fauchte und sich herumbalgte, man sah in der Dunkelheit die Augen aller Kater von Bonneville gleich Kerzen leuchten. Dann kam sie in abscheulichem Zustand, wie eine verkommene Dirne zugerichtet, wieder nach Hause, mit so zerlumptem und schmutzigem Fell, daß sie sich eine Woche lang leckte. Darauf setzte sie wieder die gelangweilte Miene einer Prinzessin auf, rieb sich schmeichelnd am Kinn der Leute und schien nicht zu merken, daß ihr Bäuchlein sich rundete. Eines schönen Morgens fand man sie mit Jungen vor. Véronique trug sie in einem Schürzenzipfel alle fort, um sie ins Wasser zu werfen. Und Minouche, die verabscheuungswürdige Mutter, suchte sie nicht einmal, denn sie war daran gewöhnt, sie auf solche Weise loszuwerden, und glaubte, die Mutterschaft sei damit zu Ende. Sie leckte sich wieder, schnurrte, tat vornehm, bis zu dem Abend, da sie sich unter Pfotenhieben und Miauen wieder schamlos den Bauch voll machen ließ. Mathieu war ein besserer Vater für diese Kinder, die er nicht gezeugt hatte, denn er folgte winselnd Véroniques Schürze, es war seine Leidenschaft, alle kleinen Wesen im Nest abzulecken.
»Oh, Tante, dieses Mal muß man ihr eins lassen!« sagte Pauline bei jedem Wurf, entrüstet und entzückt zugleich ob der verliebten Anmut der Katze.
Doch Véronique wurde ärgerlich.
»Auch das noch! Damit sie es uns überall herumschleppt! – Und außerdem, ihr liegt nichts daran. Sie hat das ganze Vergnügen, ohne die Mühe zu haben.«
In Pauline war eine Liebe zum Leben, die mit jedem Tag mehr überströmte, die
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