Die Freude am Leben
Ernte von Meerespflanzen, durch die sie schon hundertmal zusammen gegangen waren.
»Sieh doch, sieh!« rief er. »Da haben wir die Ware! Und man macht nichts daraus, und das wächst so bis zu mehr als hundert Meter Tiefe!«
Dann nannte er ihr mit fröhlicher Genauigkeit die Arten: das zartgrüne Seegras, feinem Haar gleich, das sich bis ins Unendliche wie die Aufeinanderfolge weiter Rasenflächen ausbreitete; den Meerlattich mit den breiten, dünnen Salatblättern von graugrüner Durchsichtigkeit; den Sägetang, den Blasentang in so großer Menge, daß ihre Fülle gleich hohem Moos die Felsen bedeckte; und je weiter sie, dem zurückgehenden Wasser folgend, hinausgingen, trafen sie auf Arten von größerem Wuchs und seltsamerem Aussehen, Riementang, vor allem Neptuns Wehrgehänge, jenen grünlichen Ledergürtel mit den gekräuselten Rändern, der für die Brust eines Riesen zugeschnitten scheint.
»Hab ich nicht recht? Welch verlorener Reichtum!« begann er wieder. »Ist man dumm! In Schottland sind sie wenigstens so klug, den Meerlattich zu essen. Wir, wir machen Polstermaterial aus dem Seegras und verpacken den Fisch mit dem Tang. Das übrige ist Dünger von fraglicher Qualität, den man den Bauern an den Küsten überläßt ... Wenn man bedenkt, daß die Wissenschaft noch bei der vorsintflutlichen Methode ist, einige Karren voll davon zu verbrennen, um Soda daraus zu gewinnen!«
Pauline, die bis zu den Knien im Wasser stand, war glücklich über diese salzige Frische. Im übrigen interessierten sie die Erklärungen ihres Cousins ungemein.
»Also«, fragte sie, »du wirst das alles destillieren?« Das Wort »destillieren« erheiterte Lazare sehr.
»Ja, destillieren, wenn du so willst. Aber das ist äußerst kompliziert, du wirst sehen, meine Liebe ... Gleichviel, behalte gut meine Worte: Man hat die Vegetation auf dem Festland erobert, nicht wahr? Die Pflanzen, die Bäume, das, was wir benutzen, das, was wir essen. Nun gut! Vielleicht wird uns die Eroberung der Meeresvegetation an dem Tage, da man sich entschließt, sie in Angriff zu nehmen, noch reicher machen.«
Von Eifer entflammt, sammelten beide indessen Proben. Sie beluden sich die Arme damit, sie gerieten so weit hinaus, daß sie, um wieder zurückzugelangen, bis zu den Schultern durchs Wasser mußten. Und die Erklärungen gingen weiter, der junge Mann wiederholte Aussprüche seines Lehrers Herbelin: das Meer sei ein gewaltiges Reservoir chemischer Verbindungen; die Algen arbeiteten für die Industrie, indem sie in ihren Zellen die Salze kondensierten, die die Gewässer, in denen sie leben, in geringer Menge enthalten. Daher bestehe das Problem darin, auf wirtschaftliche Weise alle nützlichen Verbindungen aus diesen Algen zu gewinnen. Er sprach davon, daß man die Asche nehmen müsse, das handelsübliche Rohsoda; im Zustand der vollkommenen Reinheit müsse man dann die Kalium und Natriumbromide und jodide, das Glaubersalz, andere Salze wie Eisen und Mangansalz davon isolieren, so daß keinerlei Rückstände des Rohstoffes übrigblieben. Was ihn begeisterte, war die Hoffnung, dank der vom berühmten Herbelin gefundenen Kältemethode nicht eine einzige nützliche Substanz zu verlieren. Damit wäre ein gewaltiges Vermögen zu gewinnen.
»Du lieber Gott! Wie seid ihr zugerichtet!« rief Frau Chanteau, als sie nach Hause kamen.
»Ärgere dich nicht«, entgegnete fröhlich Lazare und warf seinen Packen Algen mitten auf die Terrasse. »Da! Wir bringen dir Hundertsousstücke mit.«
Am nächsten Tag holte der Karren eines Bauern aus Verchemont eine ganze Ladung Meerespflanzen, und die Untersuchungen begannen im großen Zimmer des zweiten Stockwerks. Pauline erhielt den Rang eines Präparators. Einen Monat lang herrschte eine rasende Leidenschaft, das Zimmer füllte sich schnell mit trockenen Pflanzen, mit Gläsern, in denen Algen schwammen, mit Instrumenten von wunderlichem Aussehen; ein Mikroskop nahm eine Ecke des Tisches ein, das Klavier verschwand unter Kesseln und Retorten, der Schrank selber krachte von Spezialwerken, von unaufhörlich zu Rate gezogenen Sammelbänden. Im übrigen ergaben die solchermaßen im kleinen, mit peinlicher Sorgfalt unternommenen Versuche ermutigende Ergebnisse. Die Kältemethode führte zu der Entdeckung, daß gewisse Substanzen bei niedrigen, für die verschiedenen Substanzen unterschiedlichen Temperaturen auskristallisieren; und es handelte sich nur noch darum, die gewünschten Temperaturen zu erreichen und
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