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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Suppentopf, um die Rührung zu verbergen, die auch sie ergriff. Schließlich hob sie wieder an:
    »Hören Sie, Herr Lazare, Sie sollten ein wenig an den Strand hinabgehen. Sie stören mich, wenn Sie mir hier immerfort zwischen den Beinen herumlungern ... Und nehmen Sie doch Mathieu mit. Er ist unausstehlich, er weiß auch nicht, was er mit sich anfangen soll, und ich habe die größte Mühe, ihn davon abzuhalten, daß er zu Frau Chanteau hinaufgeht.«
    Am nächsten Tage zeigte sich Doktor Cazenove noch immer unschlüssig. Eine plötzliche Katastrophe war möglich, vielleicht aber würde die Kranke sich auch für eine mehr oder weniger lange Zeit wieder erholen, wenn das Ödem zurückging. Er nahm Abstand von einem Aderlaß, begnügte sich damit, die Pillen zu verordnen, die er mitbrachte, ohne die Anwendung der Digitalistinktur abzubrechen. Sein bekümmertes, dumpf gereiztes Verhalten gab zu erkennen, daß er wenig an diese Heilmittel glaubte in einem dieser Fälle, in dem die aufeinanderfolgende Zerrüttung aller Organe die ärztliche Wissenschaft überflüssig macht. Im übrigen versicherte er, daß die Kranke gar nicht leide. In der Tat klagte Frau Chanteau über keinerlei heftigen Schmerz; ihre Beine waren von bleierner Schwere, sie litt mehr und mehr an Atemnot, sobald sie sich rührte; doch wenn sie unbeweglich auf dem Rücken ausgestreckt lag, hatte sie noch immer ihre kräftige Stimme, ihre lebhaften Augen, die sie selber über ihren Zustand täuschten. Niemand in ihrer Umgebung, ausgenommen ihr Sohn, gab sich der Verzweiflung hin, da man sie noch so kräftig sah. Als der Doktor wieder in seinen Wagen stieg, sagte er ihnen, sie sollten sich nicht allzusehr beklagen, denn es sei schon eine Gnade für einen selbst und für die anderen, wenn man sich nicht selber sterben sähe.
    Die erste Nacht war für Pauline hart gewesen. Halb in einen Sessel ausgestreckt, hatte sie nicht schlafen können, da ihr von den schweren Atemzügen der Sterbenden die Ohren dröhnten. Sobald sie einschlummerte, schien es ihr, als erschüttere dieser Atem das Haus und als werde alles zusammenstürzen. Wenn sie dann mit offenen Augen dalag, wurde sie von Alpträumen befallen, durchlebte sie von neuem die Qualen, die ihr seit einigen Monaten das Leben vergällt hatten. Selbst neben diesem Sterbebett zog kein Friede in sie ein, es war ihr unmöglich, zu verzeihen. In dem Halbtraum jener unheimlichen Nachtwache litt sie vor allem unter Véroniques Mitteilungen. Ihre heftigen Ausbrüche von einst, ihr eifersüchtiger Groll erwachten bei den Einzelheiten, die sie sich voller Pein immer wieder vergegenwärtigte. Nicht mehr geliebt zu werden, mein Gott! Sich verraten zu sehen von denen, die man liebt! Sich allein wiederzufinden, voller Verachtung und Empörung! Ihre wieder aufgerissene Wunde blutete, niemals hatte sie den Schimpf, den Lazare ihr angetan, in solchem Maße empfunden. Da man sie getötet hatte, mochten auch die anderen sterben. Und unaufhörlich vollzog sich der Raub ihres Geldes und ihres Herzens von neuem unter dem Alpdruck des schweren Atems ihrer Tante, der ihr schließlich die Brust sprengte.
    Bei Tagesanbruch blieb Pauline niedergeschlagen. Die Zuneigung kehrte nicht zurück, nur die Pflicht hielt sie in diesem Zimmer. Das machte sie vollends unglücklich: Würde denn auch sie schlecht werden? Der Tag verging in dieser inneren Unruhe, sie war eifrig bemüht, unzufrieden mit sich, abgestoßen durch das Mißtrauen der Kranken. Diese nahm ihre Aufmerksamkeiten mit einem Murren an, verfolgte sie mit argwöhnischem Auge, indem sie hinter ihr herblickte, was sie wohl tat. Verlangte sie von ihr ein Taschentuch, so beroch sie es erst, bevor sie es benutzte, und sah sie sie eine Flasche mit warmem Wasser bringen, so wollte sie die Flasche anfassen.
    »Was hat sie nur?« sagte das junge Mädchen ganz leise zur Magd. »Hält sie mich für fähig, ihr etwas Schlechtes anzutun?«
    Als Véronique nach der Abfahrt des Doktors Frau Chanteau einen Löffel Arznei reichte, murmelte diese, ihre Nichte nicht bemerkend, die im Schrank nach Wäsche suchte:
    »Hat der Arzt diese Arznei zubereitet?«
    »Nein, Frau Chanteau, das Fräulein.«
    Da kostete sie mit spitzen Lippen, dann zog sie eine Grimasse.
    »Das schmeckt nach Kupfer ... Ich weiß nicht, was sie mich einzunehmen zwingt, ich habe seit gestern den Geschmack von Kupfer im Magen.«
    Und mit einer jähen Bewegung schüttete sie den Inhalt des Löffels hinter das Bett. Véronique blieb der

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