Die Freude am Leben
einer Flut wahnwitziger Worte hervor, die das junge Mädchen erschüttert anhörte, ohne sich verteidigen zu können.
»Wenn du glaubst, ich schmecke es nicht! Du tust Kupfer und Vitriol in alles ... Das ist es, was mich erstickt. Mir fehlt nichts, ich wäre heute morgen aufgestanden, wenn du nicht gestern abend Grünspan in meiner Brühe aufgelöst hättest ... Ja, du hast genug von mir, du möchtest mich gern unter die Erde bringen. Aber ich bin kräftig, eher noch würde ich dich unter die Erde bringen.«
Ihre Worte verwirrten sich mehr und mehr, sie drohte zu ersticken, und ihre Lippen wurden so schwarz, daß eine unmittelbare Katastrophe zu befürchten schien.
»Oh, Tante, Tante«, murmelte Pauline entsetzt, »wenn du wüßtest, wie du dir schadest!«
»Na und? Das willst du doch, nicht wahr? Geh, ich kenne dich, dein Plan steht seit langem fest, du bist mit dem einzigen Ziel hierhergekommen, uns umzubringen und auszuplündern. Deine Idee ist es, das Haus zu besitzen, und ich bin dir dabei im Wege ... Ah, du liederliches Weibsbild, ich hätte dich am ersten Tage zertreten sollen ... Ich hasse dich! Ich hasse dich!«
Pauline, die unbeweglich dastand, weinte still vor sich hin. Ein einziges Wort kam ihr immer wieder über die Lippen wie ein unwillkürlicher Protest.
»Mein Gott! Mein Gott!«
Aber Frau Chanteau erschöpfte sich, und eine kindische Angst folgte auf die Heftigkeit ihrer Angriffe. Sie war wieder auf ihre Kissen zurückgesunken.
»Komm mir nicht nahe, rühr mich nicht an ... Ich rufe um Hilfe, wenn du mich anrührst ... Nein, nein, ich will nicht trinken. Das ist Gift.«
Und sie zog mit ihren verkrampften Händen die Bettdecken hoch, und sie verbarg sich hinter den Kopfkissen, wobei sie den Kopf hin und her rollte und den Mund fest schloß. Als ihre Nichte sich bestürzt vorbeugte, um sie zu beruhigen, stieß sie ein Gebrüll aus.
»Tante, sei doch vernünftig ... Ich werde dir gegen deinen Willen nichts zu trinken geben.«
»Doch, du hast die Flasche ... Oh, ich habe Angst! Oh, ich habe Angst!«
Sie rang mit dem Tode, ihr zu tief liegender, im Entsetzen hintenüber geworfener Kopf bekam violette Flecke. Pauline glaubte, Frau Chanteau werde in ihren Armen verscheiden, und läutete nach der Magd. Beide hatten große Mühe, sie aufzurichten und wieder auf die Kissen zu betten.
Da wurden die persönlichen Leiden Paulines, ihre Liebesqualen endgültig davongetragen in diesem gemeinsamen Schmerz. Sie dachte nicht mehr an ihre frische Wunde, die noch am Abend zuvor geblutet, sie empfand keine Heftigkeit mehr noch Eifersucht angesichts eines so großen Elends. Alles versank auf dem Grunde eines unendlichen Mitleids, sie hätte gewünscht, noch mehr lieben zu können, sich aufzuopfern, sich hinzugeben, Ungerechtigkeit und Schimpf zu ertragen, um es den anderen leichter zu machen. Es erschien ihr wie eine Heldentat, den größten Teil des Leids im Leben auf sich zu nehmen. Von diesem Augenblick an gab es für sie kein Versagen mehr, sie zeigte vor diesem Sterbebett die ergebene Ruhe, die sie gehabt, als der Tod sie selber bedrohte. Stets bereit, ließ sie sich von nichts abschrecken. Und sogar ihre Liebe war zurückgekehrt, sie verzieh ihrer Tante, daß sie sich in ihren Anfällen hatte hinreißen lassen; sie bedauerte sie, daß sie allmählich so in Wut geraten, sah sie lieber so wie in den früheren Jahren und liebte sie von neuem, wie sie sie mit zehn Jahren geliebt hatte, als sie eines Abends bei stürmischem Wind mit ihr in Bonneville angekommen war.
An jenem Tag erschien Doktor Cazenove erst nach dem Mittagessen: Ein Unfall, der gebrochene Arm eines Bauern, den er hatte einrenken müssen, hatte ihn in Verchemont aufgehalten. Als er Frau Chanteau gesehen hatte und wieder in die Küche hinunterging, verbarg er seinen schlechten Eindruck nicht. Lazare saß am Herd in jener fiebrigen Untätigkeit, die ihn verzehrte.
»Es gibt keine Hoffnung mehr, nicht wahr?« fragte er. »Ich habe heute nacht noch einmal das Werk von Bouillaud19 über die Herzkrankheiten durchgelesen ...«
Pauline, die mit dem Arzt heruntergekommen war, warf diesem wiederum einen flehenden Blick zu, der ihn veranlaßte, den jungen Mann mit grimmiger Miene zu unterbrechen. Sooft die Krankheiten sich zum Bösen wandten, wurde er ärgerlich.
»Ach! Das Herz, mein Lieber, Sie führen nichts als das Herz im Munde! Kann man etwas Genaues sagen? Ich halte die Leber für noch kränker. Nur, wenn die Maschine in Unordnung gerät,
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