Die Freundin meines Sohnes
ist etwas anderes als das, was Joe getan hätte.«
Aber Joe Stern hatte mir geraten, auf Morbus Addison zu untersuchen. Er hatte mich darauf hingewiesen. Aber ich war … so sicher gewesen, so von mir überzeugt. Und ich war mit den Gedanken woanders: bei meinem Sohn, bei seiner Tochter. War so heillos abgelenkt, dass meine ärztliche Spürnase versagt hatte. Und jetzt war Roseanne Craig tot.
Ich nahm das Papier wieder vom Schreibtisch. »Ich glaub, ich würde ihm trotzdem gern einen Brief schreiben«, sagte ich. »Er war ja fast ein Freund der Familie.«
»Er hat uns ein Auto verkauft.«
»Elaine …«
»Ich möchte doch nur, dass du dir das nicht so zu Herzen nimmst. Aber schreib nur. Ich mach Kaffee.«
Die nächsten drei Stunden verbrachte ich über den Brief gebeugt in meinem Arbeitszimmer. Ich war es nicht gewöhnt, mit der Hand zu schreiben, und ich war es nicht gewöhnt, persönliche Briefe zu schreiben. Die Wörter wollten nicht raus. Und als sie nach einer Weile immer noch nicht raus wollten, ging ich meine Zeitschriften durch, mein Arzt-Handbuch, die Medline-Datenbank, las alles über die Addison-Krankheit, was ich finden konnte. Bei meiner Lektüre erfuhr ich nichts, was ich nicht schon wusste. Die Addison-Krankheit, eine Störung, bei der die Nebenniere nicht genügend Kortisol bildet, kommt in gleichmäßiger Verteilung bei Alten und Jungen, Männern und Frauen vor. Die Erkrankung kann mit Depressionen, Reizbarkeit, übermäßigen Gelüsten nach salzhaltigen Speisen, Übelkeit und Hautverfärbungen einhergehen. Bei einem Viertel der Fälle zeigten sich die Symptome jedoch erst bei einer Addison-Krise. Und selbstwenn Symptome auftraten, ähnelten sie im Allgemeinen denen von Krankheiten, die wesentlich häufiger auftraten. Addison ist daher nur schwer zu diagnostizieren.
Vor meinem Arbeitszimmer hörte ich Schritte und Gemurmel. Alec kontrollierte, ob ich zu Hause war. Vielleicht bereitete er sich auf einen Showdown vor. Vielleicht kam er in mein Arbeitszimmer gestürmt und wollte wissen, warum ich sein Gepäck durchsucht, warum ich seinen Koffer aus dem Haus geworfen hatte. Warum ich ihn nicht sein eigenes Leben führen ließ. Warum ich mir einbildete, dass ich noch immer über ihn bestimmen konnte. Was sollte ich ihm dann sagen? Ich schloss die Augen und hörte, wie mein Sohn meine Frau ausfragte: Ist er zu Hause? Hat er vor, hier zu bleiben? Ich weiß es nicht. Hast du ihn gefragt?
Er würde in mein Zimmer gestürmt kommen und wissen wollen, was ich gegen Laura Stern und sein zukünftiges Glück hatte. Und ich würde sagen: Laura Stern? Sie lebt wenigstens noch, Blödmann. Die Töchter anderer Leute sind heute Morgen tot.
Stattdessen aber schlich sich mein Sohn wie ein Feigling aus dem Haus – die Tür ging auf und sachte wieder zu –, und ich wandte mich wieder meinem Brief zu.
»Lieber Arnie, meine Betreuung Ihrer Tochter Roseanne in den vergangenen zwölf Monaten war unzureichend. Ich wünschte, ich wüsste, wie ich Ihnen sagen soll, dass ich Ihre Tochter sehr bewundert, dass ich sehr viel von ihr gehalten habe. Sie erschien mir so liebenswürdig, und ich würde mir so sehr wünschen, noch einmal Gelegenheit zu haben …«
»Lieber Mr. Craig, ich finde keinen angemessenen Ausdruck, mit dem sich sagen ließe, wie schlecht es mir geht. Einen Patienten zu verlieren ist niemals leicht, aber einen Patienten zu verlieren, der noch so jung ist, so voller Leben …«
»Es stimmt, Mr. Craig, ein alter Freund hat mir geraten,neben anderen Hormonstörungen und Autoimmunerkrankungen auch auf Morbus Addison zu testen, aber ich habe seinen guten Rat in den Wind geschlagen, und dann bin ich los und habe seiner Tochter das Gesicht eingeschlagen.«
Dieses letzte Blatt Papier riss ich in sehr kleine Stücke und versenkte sie ganz nach unten in meinen Papierkorb.
»Lieber Mr. Craig …«
Ich ging nach oben, nahm eine lange, heiße Dusche und versuchte den vorherigen Tag aus mir auszukochen wie einen Pilz. Ich schrubbte fest in meinen Ohren, unter meinen Fingernägeln, bekam Seife in die Augen und in den Mund. Als ich wieder zu mir kam, saß ich, in ein Handtuch gewickelt, ohne bestimmten Grund auf dem Bett und sah auf die Straße unterhalb unseres Fensters. Nach der gestrigen Hektik schwiegen heute alle Telefone im Haus. Auf der Straße unten war es auch lange ruhig. Dann kamen Mark und Kylie Krieger angelaufen, Hand in Hand, Kylie plapperte aufgeregt über – einen Hirsch, den sie gesehen hatte? ein
Weitere Kostenlose Bücher