Die Freundin meines Sohnes
gerade an, wie das Licht in der Synagoge sich veränderte.
Mein Handy läutete abermals.
»Oh, Arnie«, sagte ich, als ich ranging. »Oh, Arnie.«
»Dafür krieg ich Sie dran, Sie elender Mistkerl. Sie haben mein kleines Mädchen umgebracht.«
»Oh, Arnie«, sagte ich noch einmal. »Es tut mir so leid. Es tut mir so leid.«
»Dafür krieg ich …«
»Arnie«, sagte ich, stöhnte vielleicht sogar. »Großer Gott, Arnie.«
Roseanne Craig mit ihrem tätowierten Frosch, der mich mit großen Augen ansah, als ich sie abtastete. Roseanne Craig im schwarzen Hosenanzug und mit Perlenkette. Roseanne Craig mit der marxistischen Buchhandlung. Roseanne Craig, Autoverkäuferin des Jahres, einen Escalade hatte sie schon in der Tasche. Ich weinte, aber das war kein Schuldeingeständnis. »Es tut mir so leid«, sagte ich.
»Dafür krieg ich Sie dran, Mistkerl.« Arnie weinte ebenfalls. »Dafür krieg ich Sie dran.« Und so standen wir beide, hielten uns die Telefone an die Ohren, weinten uns an und standen eine ganze Weile so, bis unsere Frauen kamen und uns beide behutsam ins Bett brachten.
KAPITEL ELF
D er nächste Morgen war das Auge des Orkans, aber das wusste ich noch nicht. In der Zeit vor dem Doppler-Radar und vor den rund um die Uhr sendenden Wetterstationen, als das Auge noch kein allseits bekannter Teil des Phänomens Orkan war, schauten Väter in Florida nach ihren Garagen und Farmer in Georgia nach ihren Obstbäumen, und dann brach die zweite Hälfte des Orkans herein, schnell, grausam und zornig wie ein römischer Gott, und fegte alles hinweg: den Vater, die Garagen, die Farmer, die Obstbäume. Der Sturm lud sie alle miteinander meilenweit entfernt von da, wo er sie aufgehoben hatte, ab, verdreht und zermalmt und tot wie Leder. Ich hatte ein, zwei Sekunden Ruhe, bevor bei mir ankam, dass Roseanne Craig an einer Addison-Krise gestorben, die ich nicht erkannt hatte. Und dann brach der gesamte vorherige Tag über mich herein, und ich wollte nicht aufstehen. Ich fasste nach Elaines Hand. Es war noch vor sechs.
»Pete«, murmelte sie. »Komm her.« Ich schmiegte mich an meine Frau, spürte das volle Fleisch ihrer wiederaufgebauten Brust an den Fingerspitzen. Roch ihr Haar. Aber auch mit diesem Trost schlummerte ich nicht wieder ein, denn ich hatte die erste schreckliche Ahnung, dass mir das alles in nicht allzu ferner Zukunft versagt sein konnte. Der Luxus, mit meiner Frau in einem Bett aus Satin zu liegen und mich an sie zu drücken. Und auch wenn ich da vielleicht noch nichts vom Auge des Orkans wusste: dass die zornigen Götter noch nicht mit mir fertig waren, war jedoch klar. Ich zog Elaine näher an mich heran. Strich mit der Hand über dieweiche Haut an ihrer Seite. Über das Polster auf ihrem Hüftknochen. Sie murmelte etwas – hmmm, Pete –, drehte sich zu mir um, küsste mich schlaftrunken, drehte sich wieder zurück, kuschelte sich an mich und schlief wieder ein.
Zwei Stunden später wurde sie wach, und wir standen auf. Der Morgen war seltsam still. Ich beschloss, mich mit einem Stoß Büttenpapier aus dem verschnörkelten Schreibtisch mit den dünnen Beinchen, der in unserem Schlafzimmer in der Ecke stand – Elaines kleinem viktorianischen Möbel für unser viktorianisches Haus –, in mein Arbeitszimmer zurückzuziehen.
»Was wird das?«, fragte sie. Sie machte das Bett.
»Ich werde Arnie Craig und seiner Frau einen Brief schreiben.«
»Ach ja?«
Belemmert sah ich auf das Papier in meiner Hand.
»Pete, Liebling, du hast selbst gesagt, die Addison-Krankheit sei unglaublich selten und zeige sich fast immer in anderer Ausprägung. Wie hast du das genannt? Wolf im Schafspelz.«
»Ich weiß, sagte ich, aber Joe …« Ich verstummte, das Schreibpapier in meiner Hand bekam Knicke. Das war das erste Mal, dass ich aufhörte, bevor ich zugab, welchen Rat Joe mir gegeben hatte, nicht sagte, dass Joe Stern mich auf etwas aufmerksam gemacht hatte.
»Joe was?« Elaine war mit dem Glattstreichen der Kopfkissen fertig. »Joe hätte Addison auszuschließen versucht?« Sie seufzte. »Schatz, Joe Stern ist ein Verrückter. Das hast du selbst tausendmal gesagt, ein wunderbarer Arzt, aber verrückt in seinem Wahn, alles auszuschließen. Er macht noch bei einer Fünfundachtzigjährigen einen Schwangerschaftstest.«
Ich räusperte mich, legte das Büttenpapier auf den Schreibtischzurück. »Fünfundachtzigjährige kommen nicht zu Joe in die Praxis.«
»Du weißt doch, was ich meine. Was du hättest tun sollen,
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