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Die Freundin meines Sohnes

Die Freundin meines Sohnes

Titel: Die Freundin meines Sohnes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Grodstein
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Die Hufe schlugen auf dem Asphalt Funken, als wären sie aus Metall.
    »Findest du?«
    »Na ja, ich bin kein Fachmann …«
    »Ich weiß. Aber es gefällt dir wirklich?«
    Überrascht sah ich meinen Sohn an. Seit er fünfzehn war, hatte er sich nicht mehr darum geschert, ob ich etwas gut fand, und jetzt, fast sechs Jahre später, hatte er denselben Ausdruck wie in seiner Kindheit: ungebärdige Augenbrauen, der Mund leicht schief, hoffnungsvoll. Die Augen groß. Nur musste ich jetzt zu ihm hinaufsehen, denn er war gut fünf Zentimeter größer als sein alter Herr. Stolz brandete in mir auf.
    »Alec, ich finde das Bild phantastisch. Die wären dumm, wenn sie es nicht nähmen.«
    Er zuckte abermals mit den Achseln, blickte mit hochgezogenen Schultern auf das Bild, mein großer Kleiner.
    »An der Uni geben sie dir im Unterricht Tipps, oder?«
    Er warf mir einen Blick zu, aber ich tat weiter lässig. »Schätze ich. Hoffe ich zumindest.«
    »Und die Lehrer, Maler, Dozenten – die bereiten dich auf deine Zukunft als Künstler vor. Gehen mit dir in Galerien, stellen dich Agenten vor, so was, oder?«
    Er nickte, steckte die Hände in die Taschen.
    »Was denkst du?«
    »Nichts.«
    »Nichts?«
    »Wär das nicht okay für dich?«
    »Was?«
    »Wenn ich das werden würde. Wenn es darauf hinausliefe, dass ich Maler werde.«
    »Ich dachte, das ist der Sinn des Ganzen.«
    »Aber es könnte sein, dass ich nicht so viel Geld verdiene.«
    »Damit hab ich auch nicht gerechnet.« Dann merkte ich, wie sich das anhörte. »Ich meine, Geld ist nicht entscheidend. Das Geld kommt schließlich schon, wenn du …«
    »Ich weiß, was du meinst.« Er hatte die Hände immer noch in den Taschen und die Schultern hochgezogen, aber um seine zusammengepressten Lippen spielte ein feines Lächeln.
    Wir schwiegen einen Moment. »Soll ich mitfahren?«, fragte ich. »In die Stadt?«
    »Willst du?«
    »Klar. Ich hab heute nicht viel vor.« Das stimmte nicht ganz – ich hatte Hausbesuche zu machen, und außerdem hatten Joe und ich darüber gesprochen, dass wir zur Driving Range fahren und bloß zum Spaß ein paar Bälle schlagen wollten, einfach so.
    »Cool«, sagte er. »Das wäre toll.« Ich hörte an seinem Ton, dass es ehrlich gemeint war.
    Zu guter Letzt fuhr Elaine allerdings mit ihm in die Stadt – mein Pager meldete sich, und ich kam um die Visite doch nicht herum. Elaine rief mich im Krankenhaus an und sagte mir, dass die Frau in der Galerie die Arbeiten unseres Sohnes abgelehnt hatte. »Sie sagte, es sei, ich weiß nicht, zu allegorisch. Er solle mehr ins Abstrakte gehen. Das Porträt deines Vaters gefiel ihr wohl. Aber nicht so gut, dass sie es genommen hätte.«
    Ich lehnte an der Wand der Schwesternstation und sah, wie der Essenswagen gegen ein Regal mit Spritzen stieß. »Ist er okay?«
    »Du weißt doch, wie er ist«, sagte Elaine. »Er gibt den Starken. Insgeheim ist er bestimmt ziemlich gekränkt, aber ich bin sicher, dass er es letztendlich verwindet.«
    »Warum?«
    »Warum?«
    »Warum bist du so sicher?«
    »Weißt du«, sagte Elaine munter, »Ablehnung gehört bei einer Künstlerexistenz unbedingt dazu.«
    Ohne mich zu verabschieden, legte ich auf. Auf dem Wegzur Driving Range fuhr ich zu Hause vorbei, ging in Alecs Atelier hinauf und sah mir noch einmal die Hirschbilder an, die er stehen gelassen hatte. Allegorisch, von wegen. Während jedes Atemzugs, den ich tat, fraßen Hirsche an Zäunen herum, fraßen Gärten auf. Leckende Gasleitungen, Abgase, zwei kleine Menschen fuhren in einem neuen Jeep durch heimelige Vorstadtstraßen. Vernichtung brach sich Bahn, und Alec wusste das, hatte es verstanden und verlieh dem in bestechender Weise Ausdruck. Ich war sicher, die Galeristin in Harlem würde sich eines Tages ärgern, dass sie das nicht gesehen hatte.
     
    Falls es übrigens von Interesse sein sollte, was aus der Renaissance meiner Ehe wurde: Sie fand vier Jahre vor dem Kauf des Jeeps – macht fünf aus heutiger Sicht – ihr Ende, und zwar an einem kühlen Abend im Oktober 2002, dem Tag, an dem Elaine mit ihrem Schaltgetriebe-Saab auf der Autobahn einen Auffahrunfall hatte und Iris mit ihr an unserem Küchentisch saß und sie tröstete, als ich abends aus dem Krankenhaus heimkam.
    »Was ist passiert?«
    »Ach, so ein Kerl ist mir reingefahren«, sagte Elaine. »Irgendein Arschloch.«
    »Was heißt das?«
    »Er war neunzehn. Es hat ewig gedauert, bis die Polizei kam, er wollte mir seine Versicherung nicht nennen, sondern hat dauernd

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