Die Freundin meines Sohnes
eine von den Besitzern, die ich ein bisschen kenne, sie ist am Donnerstag im Red Barn gewesen, und ich hab ihr meine Dias gezeigt.«
»Und?«
»Sie meinte, ich könnte ein paar von den neuen Sachen vorbeibringen, damit wir sehen, wie sie im Raum wirken. Sie sagte, die Dias vermitteln ihr nicht das, was sie braucht.«
»Und deshalb möchtest du mit dem neuen Auto deiner Mutter nach Harlem fahren.«
Seine Züge verhärteten sich. »Hör mal, ich will euch nicht zur Last fallen oder so was …«
War es falsch, dass mich seine Erwartungshaltung auf die Palme brachte? War es falsch, dass ich mich fragte, warum alles, was ich besaß, immer noch meinem Sohn gehörte? »Hör mal, wir haben das Auto gestern erst geholt, und heute möchtest du damit schon nach New York fahren, in einen Stadtteil, der nach wie vor nicht unbedingt hundert Prozent sicher ist?«
Ich sah, dass er die Fäuste in den Taschen ballte. »Schön, vergiss es. Ich sag der Galerie, ich hab keine Transportmöglichkeit …«
So schnell hatte ich wiederum auch nicht an diesen Punkt kommen wollen. »Nein, Alec, nein, schau. Natürlich kannst du mit dem Auto nach Harlem fahren. Ich …« Böse starrte er auf meine Füße. »Zeig mir bloß erst die Bilder.«
»Warum?«
»Bloß aus Neugierde.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Ich möchte nur sehen, was du die ganze Zeit im Atelier gemacht hast, das ist alles.«
»Warum?«
»Darf ich die Bilder meines Sohnes nicht sehen? Ist das nicht erlaubt?«
Er zuckte heftig mit den Achseln. »Mir scheint, du darfst alles, was du möchtest.«
»Prima«, sagte ich. »Dann zeig mir die Bilder.«
Er zuckte noch einmal mit den Achseln und ging mit mir die wackelige Holztreppe in das Atelier über der Garage hinauf. Seit der Renovierung hatte ich keinen Fuß in den Raum gesetzt, es stank nach Ölfarbe und Mastix, der Raum war vollgestopft mit Staffeleien, Rahmen, Leinwänden, an den Wänden lehnten große Gemälde, auf dem Boden lagen überall verstreut alte Lappen. Ich schaute mich um. Genauso hatte ich es mir vorgestellt, genauso hatte ich es gewollt.
»Welche wolltest du in die Galerie bringen?«
»Das überlege ich noch«, sagte er, ließ den Blick über sein Oeuvre schweifen und pulte an einem Grind an seinem Kinn.
»Hat sie gesagt, dass sie irgendwas Bestimmtes sehen will?«
»Eigentlich nicht«, sagte er. »Ich glaub, ich nehm bloß vier oder fünf Bilder mit. Wenn ich alles hinbrächte, was ich bis jetzt gemalt habe, sähe das ja wohl so aus, als wäre ich total verzweifelt. Außerdem mag sie eher große Formate, das weiß ich.«
»Wie wär’s mit dem hier?« In der südöstlichen Ecke des Raumes stand ein großes Ölbild in leuchtenden Farben: Eine Herde Hirsche rannte blindlings eine Vorstadtstraße entlang und verbog alle Verkehrsschilder auf dem Weg.
»Wirklich?« Er zog eine Miene, als müsse er gleich lachen. »Gefällt dir das?«
»Ist das lustig?«
»Nein«, sagte er. »Nein, gar nicht. Ich bin bloß überrascht, dass wir denselben Geschmack haben. Das ist auch mein Lieblingsbild.«
Für einen Moment wurde mir warm ums Herz. »Ach?«
»Ja«, sagte er. »Ich arbeite schon den halben Sommer daran, ich wollte, dass es groß wirkt, irgendwie beängstigend. So als wäre die Herde gerade losgestürmt und würde die Welt erobern.«
»So wirkt es auch. Wie eine Katastrophe irgendwie.«
»Ach? Findest du?«
Ich trat näher an das Bild heran. Im Hintergrund waren in gedeckten Farben die Umrisse einer düsteren, brennenden Stadt zu sehen. Die Augen der Hirsche funkelten mich an. »Als wären das die apokalyptischen Reiter. Nur dass es Hirsche sind.« Es klang idiotisch, was ich sagte. »Ich meine …«
»Nein, nein, ich versteh schon. Genau das wollte ich hinkriegen, eine Atmosphäre der Zerstörung, das Gefühl, dass wir uns auf Kollisionskurs mit der Natur befinden. Nur dass in meinen Bildern die Natur gewinnt. In der realen Welt ist das nicht so.«
»Du hast ihre Körper so gut hingekriegt«, sagte ich. »Wie machst du das? Du siehst die Hirsche vor deinem geistigen Auge und kannst sie dann malen?«
»Vor dem Fenster hinten«, sagte er, »sehe ich dauernd Hirsche. Neuerdings geht es hier draußen fast wie in einem Streichelzoo zu. Ich mach Fotos und lad sie mir auf den Computer, aber die Hälfte der Zeit brauche ich gar nicht hinzusehen. Ich hab die Bilder im Kopf, und sie gehen durch meine Hand auf die Leinwand.«
»Das ist wirklich erstaunlich, Al.« Das Fell der Tiere schimmerte wie Satin.
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