Die Freundin meines Sohnes
regelrecht. Weißt du, wie das ist? Wenn man sein eigenes Kind hasst? Wenn er mir gegenüber diesen Ton anschlägt, möchte ich …«
»Kenn ich«, sagte Iris.
»Möchte ich ihn umbringen.«
»Kenn ich.«
Absurderweise fiel es mir leicht, mit Iris über Probleme mit meinem Sohn zu sprechen; mit dem Wissen, dass sie es schlechter getroffen hatte als wir, schämte ich mich weniger, wenn ich erzählte, wie schlecht es bei uns aussah.
»Das legt sich irgendwann wieder«, sagte Iris.
»Meinst du?«
»Das Gefühl wird zumindest abstumpfen, es kommen andere Gefühle, die es entschärfen.« Iris hatte ihr grau werdendes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, die oberen Knöpfe ihrer Bluse waren lässig offen. Ein zartes doppelreihiges Kettchen war im Ausschnitt zu sehen. Ihre Haut war an dieser Stelle mit Sommersprossen bestäubt. Ich schenkte ihr noch etwas Wein nach.
»Ich hasse Laura nicht mehr so sehr. Aber hab ich, lange.«
»Wie hast du damit aufgehört?«
»Ich hab’s einfach. Ich bin nicht sicher, dass ich dir wirklich was raten kann, wie man lernt, den eigenen Kindern zu verzeihen. Mit der Zeit vergisst man einfach, das ist alles. Mit der Zeit und dem Alter. Ich will nicht mein ganzes Leben damit zubringen, mein ältestes Kind zu hassen, deshalb war es teils wohl auch meine freie Entscheidung. Ich hab einfach beschlossen, zu vergessen, was sie getan hat, oder wenigstens daran zu arbeiten, und die Zeit tut dann das Übrige.«
Wir schwiegen eine Weile. Ich hörte, wie oben die Wasserleitungen anfingen zu gurgeln, Elaine ließ sich grollend ein Bad einlaufen.
»Das Schlimmste für mich war, dass ich sie sogar gehasst habe, während ich ihr half. Ich hab alles getan, um sie zu schützen, und gleichzeitig hätte ich sie insgeheim am liebsten den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Und gesagt: New Jersey, das hat sie getan, sie hat unser Leben zerstört, nimm sie und mach, was du willst.«
»Aber das konntest du natürlich nicht.«
Iris lachte, ein kurzes, bellendes Lachen. »Ich hab mal versucht, Joe zu erklären, was ich fühle, da hat er mich geschlagen.«
»Joe?«
»Das einzige Mal in unserer ganzen Ehe, dass er mich geschlagen hat. In siebenundzwanzig Jahren. Hinterher hab ich mir gesagt, ich hätte es verdient. Aber es war ganz schön fest. Ich hatte eine Platzwunde am Wangenknochen. Und von wegen danach: ›Oh, Schatz, es tut mir so leid‹, und Schmuck kaufen und so, von wegen. Wenn ich noch mal aufs Tapet gebracht hätte, Laura dem Gericht zu überantworten, hätte er mich wieder geschlagen.«
»Großer Gott.«
»Ich weiß«, sagte sie, und ich musste an Pauline am Küchentisch der Sterns denken: Keiner von uns reicht an seinen Liebling Laura heran . Nicht einmal Iris. Was für ein Narr.
Wir tranken beide unser Glas aus und füllten es wieder, während oben das Badewasser weiter rauschte und ich den leisen Sound von Musik vernahm, die Elaine mochte, die Indigo Girls oder Joni Mitchell.
»Im Nachhinein lachen wir darüber«, sagte Iris, und der blaue Schimmer auf ihren Zähnen wurde dunkler. Meine Zähne sehen wohl auch so aus, dachte ich.
»Und er hat dich wirklich geschlagen?«
Iris strich mir mit der Hand leicht über die Wange, weit oben, an der Stelle, wo nach dem Wangenknochen die Augenhöhle beginnt. »Genau hier«, sagte sie. »Ich hab allen erzählt, ich wäre gefallen, wie im Kino.«
»Es ist fast unmöglich, sich diesen Teil des Gesichts aufzuschlagen.« Ich erwiderte die Geste, streckte die Hand aus und berührte ihren zarten Wangenknochen. »Wenn man stürzt, nimmt man instinktiv die Hände nach vorn, um sich abzufangen, sogar wenn man gegen eine Wand gestoßen wird oder so. Deshalb brechen sich die Leute ständig die Handgelenke. Das ist die typische Sturzverletzung.«
»Dann haben wohl meine Hände an dem Tag nicht richtig funktioniert.«
»Dann hättest du was am Kinn abgekriegt«, sagte ich. »Der andere Instinkt ist, den Kopf zu drehen, um das Haupt zu schützen, die Augen, den Hirnschädel.«
»Du behauptest also, eine Platzwunde am Wangenknochen kann man sich nur zuziehen, wenn man geschlagen wird.«
»Na ja, du könntest auch von etwas getroffen worden sein«, sagte ich. »Bei einem Autounfall zum Beispiel.«
»Wenn Joe mich noch einmal schlägt, weiß ich, was ich sagen muss.«
»Ich kann nicht glauben, dass er dich geschlagen hat.«
»Ich kann nicht glauben, dass ich dir das erzählt habe.« Sie schüttelte den Kopf, schwenkte den Wein in ihrem Glas. »Das gehört zu
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