Die Freundin meines Sohnes
den Dingen, die ich ins Grab mitnehmen wollte.«
Ohne zu überlegen, ohne es zu planen, legte ich die Hand auf ihren Rücken und streichelte ihn sacht, wie ich es halt tue, wenn eine Frau, mit der ich befreundet bin, mir von ihrem Kummer berichtet. Aber ich fuhr mit der Hand auch kurz an ihrem BH-Träger entlang, und das mit Absicht. Ich weiß, ich weiß, das Leben, das wir uns als langjährige Nachbarn aufgebaut hatten – was hieß das schon. Es war mir egal. Iris sah, den Kopf in beide Hände gestützt, auf unseren Küchentisch. Vielleicht hatte sie die Augen auch geschlossen.
Ich strich mit der Hand über ihren Rücken, auf und ab, und wer weiß, wie viel Zeit darüber verging. Ich hörte erst auf, als ich Gepolter an der Tür hörte. Alec.
»Mich hat keiner mitgenommen«, sagte er so blind vor Ichbezogenheit, dass er die Szene, in die er gestolpert war, entweder normal fand oder gar nicht wahrnahm. »Bevor du ausflippst.«
»Geh nach oben«, sagte ich. Er marschierte an uns beiden vorbei. Meine Hand lag schon seit einigen Sekunden wieder in meinem Schoß. Immer zwei Stufen auf einmal, stürmte Alec die Treppe hinauf.
Iris richtete sich auf, stand ganz auf. »Du solltest raufgehen und mit ihm reden.« Meine Hand kribbelte noch von der Berührung. Ob es Iris auch am Rücken kribbelte?
»Danke, dass du vorbeigekommen bist«, sagte ich.
»Ich bin wegen Elaine gekommen.«
»Ja, trotzdem.«
»Natürlich.«
Ich beugte mich hinab und näherte mich langsam ihremMund (scheiß auf Joe, er hatte sie geschlagen, scheiß auf Elaine, unser Sohn war ihr egal), aber in dem Bruchteil einer Sekunde, in dem sich alles entscheidet, drehte sie den Kopf. Gerne würde ich glauben, dass ich dasselbe tat. Es endete damit, dass ich mit dem Mund knapp unterhalb der damals aufgeplatzten Stelle entlangstrich.
»Gute Nacht, Pete.«
»Gute Nacht.«
Ich stand in der Tür und sah die Lichter ihres Wagens angehen, hörte das Anspringen des Motors, spürte den Druck ihrer weichen, sommersprossigen Haut an meinen Lippen. Das war das Ende der Ehe-Renaissance. Jeder, der schon einmal Vorsätze hatte, weiß, dass sie viel mehr bedeuten, als das, was man tut.
KAPITEL NEUN
D ie Nacht habe ich gut geschlafen, ein Wunder, wenn man bedenkt, was in den nächsten achtundvierzig Stunden alles auf mich zukommt und dass ich erst nach eins ins Bett gegangen bin. Jetzt ist es Punkt sieben, die Decke ist um mich gewickelt, und das Kissen liegt auf dem Boden.
Die Kriegers nebenan kommen langsam in Fahrt, es geht um Haferflocken und darum, wer welches Kind zur Schule fährt. Ich sehe aus dem Fenster, das nach Westen zeigt, mein Haus ist noch da, Alecs Civic steht in der Einfahrt. Heute ist Montag, ich sollte um neun in der Praxis sein und ordentlich zu tun haben. Irgendwann am Nachmittag erfahren meine Anwälte, wie die Richterin den Fall Craig bewertet. Ich wünschte, ich wüsste, wie es mir damit gehen soll.
Ich will gerade unter die Dusche steigen, da schmettert der Vivaldi wieder los. Joe. Vielleicht sollte ich rangehen. Aber ich weiß nicht, was ich ihm sagen könnte, und will immer noch nicht wissen, was er mir zu sagen hat. Das ist feige, ich weiß, und ich habe Feiglinge immer verachtet, aber trotzdem starre ich bloß auf das Telefon, bis es nach sechsmaligem Läuten auf Voicemail umschaltet. Joe spricht mir eine Nachricht auf. Eine hell blinkende Nachricht, die ich lösche, ohne sie vorher abgehört zu haben.
Seine gesamte Jugend hindurch, in einer Zeit, in der die Hormone wüten wie der Mississippi nach einem Sturm, war Alec unseres Wissens keusch wie ein Novize. Elaine und ich hatten während unserer Highschooljahre auch nicht soviel Sex, immerhinaber genug, um unsere Eltern und unsere Altersgenossen davon zu überzeugen, dass wir normal waren. Bei mir war es Karen Brauner, die später Senatorin im Bundesstaat New York wurde, bei Elaine war es ein zukünftiger Rabbi namens Israel, der immer Samstagabend nach dem Kino sein Glück versuchte und nur einmal Erfolg hatte, kurz bevor Elaine an die Pitt ging.
Alec jedoch gehörte sein ganzes letztes Jahr an der Round-Hill-Ganztagsschule zu einem exklusiven und rein männlichen Klub, bestehend aus Dan, Shmuley und was sonst noch für Gelichter aus der Gymnasialstufe der staatlichen Schule nach Round Hill gewechselt war. Das war seltsam, denn Alec sah gut aus, plus minus ein Piercing, und hatte all die Jahre doch immer Freundinnen um sich gehabt. Ich weiß noch genau, wie er mit Stacy und
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