Die Friesenrose
Abend vor drei Wochen, als die Geldhändlerin ihr Geheimnis gelüftet und ihr reinen Wein eingeschenkt hatte. Sie beide waren wie so oft am Abend noch auf einen Tee zusammengekommen.
„Du hast was getan?“, hörte Inken sich wieder ungläubig fragen.
„Ich habe mich mit einem zehntel Anteil an der Maisje bei der Oostindien Compagnie eingekauft“, hatte Tjalda mit leuchtenden Augen wiederholt. „Am 25. Oktober wird sie von Delfzijl aus nach Kanton segeln, wo Porzellan, Tee, Gewürze und Seide an Bord genommen werden sollen.“
Für einen Augenblick war Inken sprachlos gewesen, doch dann hatten alle Alarmglocken bei ihr zu läuten angefangen. Zu viele Wochen war sie Tjalda in der Buchhaltung zur Hand gegangen, als dass sie nicht gewusst hätte, dass die Geldhändlerin keine arme Frau, aber bei Weitem auch nicht reich genug war, um Schiffsanteile bei der Gemeinsamen Oostindien Compagnie zu erwerben.
Tjalda hatte ihren Einwurf lachend beiseitegeschoben. „Du hast Recht. Ich bin auch nur an das nötige Kleingeld gekommen, indem ich mein Haus und meinen Anteil an der Kruiderrie verpfändet habe, die ja nun so gut geht, dass die Bankhäuser sich um diese Sicherheit reißen.“
Inken erinnerte sich an ihr Entsetzen. „Das heißt, du wärst arm wie eine Kirchenmaus, wenn die Maisje nicht wohlbehalten von der Reise zurückkehrt.“
„Ich wäre dann wohl nicht mehr sehr vermögend“, hatte ihr Tjalda beigepflichtet, „aber ich hätte immer noch meine beiden Hände, um zu arbeiten.“
Inken hatte ob solchen Leichtsinns nur den Kopf geschüttelt, aber Tjalda war sich dessen, was sie tat, vollkommen sicher. „Mein liebes Kind, ich habe lange darüber nachgedacht. Dreh- und Angelpunkt unseres Geschäftes ist der Tee. Und wenn wir wirklich unabhängig sein wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass das schwarze Gold aus China direkt zu uns kommt und dass kein halbseidener Geschäftsmann wie Reemt Neehus darüber zu entscheiden hat, ob wir mit ihm beliefert werden oder nicht. Noch hat er vielleicht nicht herausgefunden, dass ich einen gewissen Anteil an der Kruiderrie besitze. In seinen Büchern tauchst ja immer nur du als Großabnehmerin auf. Doch wenn dieser Kerl erst einmal herausbekommt, dass ich meine Finger mit im Spiel habe, wird er dich garantiert nicht mehr beliefern. Und er ist im Augenblick derEinzige in Emden, dessen Schiffe nach China fahren. Da hat sich dieser Kerl ein feines Monopol gesichert. Schon bald wird sich wieder eines seiner Frachtschiffe auf den Weg machen. Wenn Neehus uns aber nicht mehr beliefern würde, müssten wir uns den Tee auf teuren Umwegen in Holland oder anderswoher besorgen. Das würde die Preise steigen lassen, und das will ich um alles in der Welt verhindern. Der Tee ist das Standbein unseres Geschäftes. Deshalb müssen wir ihn auch weiterhin für alle unsere Kunden erschwinglich anbieten können. Und um dies sicherzustellen, gibt es keinen anderen Weg, als selbst in den Teehandel einzusteigen. Damit ist uns die Menge an Tee, die wir für unser Geschäft brauchen, stets garantiert, und der Rest der Ladung kommt unter den Hammer und wird sicherlich mit gutem Gewinn verkauft. Na, wie klingt das? Nun mach nicht so ein skeptisches Gesicht, Inken. Die anderen Kaufleute, darunter holländische, preußische und flämische Teilhaber, scheuen das Risiko ja auch nicht. Die Compagnie wird von zwei Geschäftsführern vertreten, die es sogar geschafft haben, uns das Monopol für die Handelsfahrt zwischen China und Holland zu sichern. Ist das nicht großartig?“
Inken hatte sich von Tjaldas Begeisterung mitreißen lassen, aber die Angst davor, dass das Unternehmen scheitern könnte, war dennoch ihr ständiger Begleiter geworden. Dann, nach Gesprächen mit Sumi, die begeistert von Tjaldas Idee gewesen war, und zwei schlaflosen Nächten, hatte sie sich erneut mit Tjalda zusammengesetzt. Sumi und sie waren sich einige darüber gewesen, dass ihre Freundin nicht allein die Kosten für die Teilhaberschaft am Schiff aufzubringen brauchte. Und sie hatten Tjalda letztendlich überzeugt.
„Du wirst dein Haus aufs Spiel setzen, wir das Geschäft. So ist das Risiko gerecht verteilt!“
Tjalda hatte widersprechen wollen, doch ihre Freundinnen waren nicht von ihrem Vorhaben abzubringen gewesen. In den letzten Tagen hatte die Furcht allerdings erneut wieder Besitz von Inken ergriffen. Tjaldas Waghalsigkeit konnte sie in allergrößte Schwierigkeiten bringen. Bis zuletzt ihr Mut gesiegt hatte. War
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