Die Friesenrose
es nicht immer so gewesen? Hatte sie nicht immer etwas wagen müssen, um zu gewinnen? Warum daher nicht alles wagen und alles auf eine Karte setzen? Außerdem gab es sowieso kein Zurück mehr.
Tief in ihrem Inneren wusste Inken jedoch, dass ihre Angst noch andere Gründe hatte. Der Krämerladen war ihr Leben, alles, was ihr noch geblieben war. Sie arbeitete nicht nur, um zu leben, sondern auch, um nicht an Cirk, der noch immer in ihrem Herzen war, denken zu müssen. Warum wollte es ihr nur nicht gelingen, sich von ihm zu befreien? Warum erschien trotz aller Enttäuschung immer wieder sein Gesicht vor ihrem inneren Auge? Was würde geschehen, wenn sie das Geschäft, ihre einzige Zufluchtsmöglichkeit, verlor? An diesem Punkt angelangt, verbot Inken sich jedes weitere Grübeln. Sie hätte nicht die Jahre im Moor überstanden, wenn sie verzagt wäre.
Sumi war bezaubert von dem Gedanken gewesen, das sie nun Anteile an einem Schiff hielten, das in ihre Heimat fuhr. Und sie hatte tausend Einfälle, was die Waren anging, die sie ordern wollten.
Sumi sprach von Teegeschirr, bemalt mit eigenen Motiven, denn sie wusste mittlerweile, was den Emdern gefiel, von Auftragsgeschirr für reiche Bürger, von aufgemalten Familienwappen, von Vasen, kunstvoll bemalten Teedosen und vielem anderem mehr. Selbst für die Teekisten konnte sie sich eine gute Verwendung vorstellen: Sie sollten in China geschmackvoll verziert und mit Samt ausgeschlagenwerden, um später den jungen Mädchen als Aussteuerkisten zu dienen.
Viele ihrer Ideen hatte Tjalda dem Direktionskollegium der Compagnie vorgetragen, und sie waren sofort umgesetzt worden. Die Kollegiumsmitglieder wussten um die Kreativität der Chinesin und hatten sie deshalb gestern Abend besonders respektvoll begrüßt. Dies schien Sumi, die bislang eine Behandlung ganz anderer Art gewohnt war, verlegen zu machen, aber auch besonders zu gefallen. Am Ende der Feier, als die Stimmung durch den Wein schon gelockert war, hatte es dann viele Trinksprüche auf ein gutes Gelingen der Reise gegeben. Auch Sumi war darum gebeten worden, dem Schiff und seiner Besatzung eine gute Reise zu wünschen, und Inken hatte die Worte, die sie gesprochen hatte, noch immer im Ohr:
„Diese unwürdige Frau will den Seefahrern nicht zu viel Segen mit auf die Reise geben. Dies könnte den Eindruck erwecken, es gäbe immer nur Sonnenschein auf der Fahrt. Doch so ist es nicht. Keine Route hält nur gutes Wetter bereit. Diese Chinesin ist nicht klug, doch sie weiß, dass das Leben Wünschenswertes und Unerbetenes untrennbar miteinander verknüpft hat. Beides wechselt sich ab. Nach dem Sonnenschein auf der Fahrt wird unweigerlich das unbändige Meer gegen die bewundernswerten Seefahrer kämpfen. Der Herr des Lebens gebe diesen Männern Kraft und Mut, den Herausforderungen zu begegnen, und die nötige Klugheit und Weitsicht, um herauszufinden wie.“
Und nach all den guten Wünschen des schönen gestrigen Abends war es nun so weit, und sie warteten am Delfzijler Hafen auf die Abfahrt der Maisje . Immer noch kamen neueKutschen oder einfache Bauernkarren an, und mehr und mehr Menschen gesellten sich zu ihnen.
„Hier weht aber ein verdammt kalter Wind.“ Tjalda schlug die Arme um sich. „Die Männer segeln der Sonne entgegen, da könnte man direkt neidisch werden. Ist es nicht irgendwie merkwürdig, dass heute gleich zwei Schiffe mit ein und demselben Ziel in See stechen? Dieser großmäulige Reemt Neehus schickt die Burg von Emden auf die Reise nach Kanton. Ich bin gespannt, welches Schiff das Rennen machen wird. Neehus hat ja das Gerücht in die Welt gesetzt, wir hätten uns gegen ihn verschworen, was natürlich Unsinn und allein dem Zufall geschuldet ist. Es wäre natürlich von Vorteil, wenn die Maisje als Erste zurückkehrt. Denn dann würden viele Emder Großhändler sicherlich nicht den Weg scheuen, um hierher zur Auktion zu kommen.“
„Hoffentlich kommt überhaupt eines der Schiffe wieder zurück“, warf Inken düster ein.
„Ach, das wird schon.“ Tjalda machte eine nachlässige Handbewegung. „Harm Jacobs ist ein guter Kapitän, der hat schon so manches Schiff heil wieder nach Hause gebracht. Wer fährt eigentlich für Neehus?“
„Ein Matrose hat dieser unwissenden Frau erzählt, dass ein Engländer das Schiff des unwürdigen und mit Bosheit geschlagenen Emder Kaufmanns steuern wird“, wusste Sumi daraufhin zu berichten, die mit Recht nicht gut auf Reemt Neehus zu sprechen war. Denn er hatte
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