Die Friesenrose
anstellig in der Schule zeigte, beschlossen meine Großeltern, dass ihr kluger Sohn ein Gelehrter werden solle. Seine beiden Schwestern“ – Bonné verzog schmerzhaft das Gesicht beim Gedanken an seine Tanten – „begehrten zwar dagegen auf, weil sie im Gegensatz zu ihm schon seit Jahren Tag für Tag Näharbeiten verrichten und im Geschäft mitarbeiten mussten, aber meine Großmutter setzte ihren Willen durch. Sie sah wohl den Sohn schon in einer leitenden Position. Doch daraus wurde leider nichts. Denn auf einer Studienreise nach Frankreich lernte mein Vater nicht nur die schöne Landschaft und Sprache, sondern auch ein wunderschönes Mädchen namens Celine kennen, in das er sich unsterblich verliebte.“
„Deine Mutter vermutlich“, fiel ihm Inken ins Wort.
„Richtig. Von nun an gab es für die beiden nur noch ein Ziel: Sie wollten heiraten. Allein, weder bei der Familie der jungen Frau noch bei der meines Vaters stieß dieser Gedanke auf Zustimmung. Wieder und wieder setzte man dem jungen Paar zu, es möge sich trennen. Von den Großeltern kam der Vorwurf, sie und die Schwestern hätten sich abgerackert, nur damit Vater eine gute Ausbildung bekäme, die er nun nicht einfach wegwerfen könne. Aber für das junge Paar gab es auf der Welt nur eines, was wichtig war: ihre Liebe. Und so heirateten sie trotz aller Widerstände. Mein Vater verabschiedete sich von der Gelehrsamkeit und sah sich nach einer Möglichkeit um, seine junge Frau zu ernähren. Sie beschlossen, dass es wohl besser sei, weit fort von ihren Eltern ein neues Leben zu beginnen, um nicht ständig deren missbilligenden Blicken ausgeliefert zu sein.
Der Zufall wollte es nun, dass sich mein Vater, der zeit seinesLebens ein Büchernarr gewesen war, auf der Reise in eine neue Zukunft mit Henning Mattes anfreundete. Dieser besaß einen kleinen, aber feinen Buchladen in der Stadt Emden. Dort wurden nicht nur Lesestoff, sondern auch Spirituosen verkauft. Henning Mattes bot meinem Vater eine Anstellung an, und meine Eltern zogen in die Wohnung über dem Geschäft.
Allen bösen Unkenrufen seiner Schwestern Rosina und Helena zum Trotz wurden die beiden sehr glücklich. Sie hatten nicht viel zum Leben, aber ihre Liebe genügte ihnen. Leider wurde das Glück meiner Eltern von einer Krankheit überschattet. Meine Mutter war von sehr zarter Gesundheit. Sie litt an Schwindsucht. ,Sieh zu, dass sie nur ja kein Kind bekommt‘, soll Tante Rosina bei einem ihrer ersten Besuche meinen Vater mehr als einmal gewarnt haben. Wisst ihr“ – er wandte sich mit leidender Miene an seine Zuhörerinnen –, „ab und zu ließen es sich die Schwestern nicht nehmen, das Leben ihres Bruders in Augenschein zu nehmen.“
„Das muss ja für deine Eltern ein Graus gewesen sein.“ Inken stützte den Kopf in die Hände.
„Das war es auch. Aber ihr könnt euch sicher vorstellen, wie sehr es nicht nur die beiden Schwestern, sondern alle Verwandten aus der Fassung gebracht hat, als sich meine Existenz ankündigte und ich fast genau auf den Tag acht Monate nach der Heirat meiner Eltern zur Welt kam.“
„Oho“, frotzelte Tjalda vergnügt, „dann wurdest du ja in Sünde gezeugt!“
„Sünde hin oder her“, entgegnete Bonné, „vor allem wurde ich in Liebe gezeugt.“ Er warf sich in die Brust, als sei die Liebe der Eltern sein Verdienst. „Na, jedenfalls waren meine Eltern verheiratet, als ich zur Welt kam, und das genügte. Trotz aller düsteren Prophezeiungen überlebte Mutter meineGeburt. Die Tanten verstanden die Welt nicht mehr und regten sich auf, dass die Verantwortungslosigkeit ihres Bruders nun auch noch belohnt worden war. Sie setzten denn auch für eine lange Zeit keinen Fuß mehr über die Schwelle meines Zuhauses. Was natürlich auf keinerlei Bedauern seitens meiner Eltern stieß.
Der alte Henning Mattes wurde ein enger Vertrauter der Familie und hinterließ meinem Vater nach seinem Tod den kleinen Buch- und Spirituosenladen. Als ich fünf Jahre alt war, besaßen wir also ein kleines Geschäft, das Nötigste zum Leben und uns selbst. Unsere Kundschaft war nicht besonders groß, denn mein Vater war kein guter Kaufmann. Aber wir konnten von den Einnahmen leben.“
„Was brachte mehr Gewinn, der Verkauf von alkoholischen Getränken oder der Buchhandel?“ Tjalda, ganz in ihrem Element, betrachtete Bonné neugierig.
„Am besten ließ sich der Alkohol verkaufen.“ Bonné lächelte. „Zumeist waren es Männer, die ihr Geld dafür gaben. Ihren Frauen
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