Die Friesenrose
Bonné seufzte. „All dies weiß ich natürlich nur aus Erzählungen.“
Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit legte Sumi dem Weinhändler eine Hand auf den Arm. Ihre Stimme klang aufgeregt. „Die Mutter dieses Mannes war also auch eine Fremde all die Jahre und hat dann doch noch die Anerkennung der Emder erworben?“ Ein hoffnungsvoller Unterton lag in ihrer Frage.
„Ja, so war es. Obwohl meine Mutter sich meines Wissens in den Jahren vor dem Krieg nicht sonderlich darum bemüht hat. Sie lebte in ihrer eigenen Welt, die allein schon durch meinen Vater reich war. Ich glaube, es scherte sie wenig, ob die Emder sie mochten oder nicht. Ihr genügte es, dass Vater sie liebte und vielleicht sogar, dass es mich gab.“ Bonnés Gesicht bekam einen verträumten Ausdruck. „Ich erinnere mich an Sonntage mit langen gemeinsamen Spaziergängen amHafen und an das Fernweh in den Augen meiner Mutter. Ich fand es herrlich, das Leben und Treiben auf den Schiffen zu beobachten, doch fort trieb es mich nie. An ihrer Hand schlenderte ich so manches Mal über den Markt mit seinen vielen Gerüchen. Am liebsten war es mir, nur mit einem Elternteil unterwegs zu sein. Denn dann, und nur dann, wandten sie mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu.
Mutter erzählte mir von Frankreich und den Großeltern, die ich nie kennen gelernt habe, und sie brachte mir französische Lieder bei. Das Anwesen, auf dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, wurde für mich zu einem märchenhaften Ort. Wenn ich sie dann fragte, ob sie all das gerne wieder einmal sehen wollte, schüttelte sie nur den Kopf, und ich begriff, wie tief ihre Liebe zu meinem Vater war. Damals begann ich wohl zu glauben, dass auch mir eines Tages eine Frau begegnen würde, der ich so viel bedeuten könnte.“
Seine Augen suchten Tjalda, doch diese machte ein abweisendes Gesicht.
„Glauben kann man vieles“, sagte sie schließlich schroff und blickte zu Boden.
„Aus dieser Zeit“, fuhr Bonné nach einer Weile fort, „ist mir auch das wundervolle Gefühl von Sicherheit in Erinnerung geblieben. Es kam mir nie in den Sinn, dass sich mit einem Schlag alles ändern könnte. Ich würde immer mit Vater spazieren gehen, mit Mutter singen und später vielleicht die Buchhandlung übernehmen, so dachte ich. Doch eines Tages erkrankte meine Mutter schwer und wurde und wurde nicht wieder gesund. Tagelang litt sie, bis der Arzt auf unsere Fragen zuletzt nur noch den Kopf schüttelte. Wenig später war es zu Ende mit ihr. Ich habe sehr getrauert, doch mein Vater wurde schier wahnsinnig.
Mit dem Tod meiner Mutter veränderte sich mein ganzesLeben. Mein Vater konnte sich nicht von der Vergangenheit lösen und der Gegenwart ins Auge blicken. Die Tanten bemächtigten sich schnell unseres Haushalts und ließen mich merken, dass wir solch ein großes Opfer eigentlich nicht wert seien. Ich war damals sechzehn, zu alt in meinen Augen, um die Tage unter der Herrschaft zweier alter Fuchteln zu verbringen. Vater hingegen lebte völlig apathisch in den Tag hinein und ließ sich zu keinem Tun bewegen. Mehr und mehr suchte er Vergessen im Alkohol. Mich erschreckten all diese Veränderungen. Ich war damals zwar als ,Großmaul‘ verschrien, doch in Wahrheit steckte in mir noch ein Kind, das unsicher und der Verzweiflung nahe war: die Mutter gestorben, der Vater nicht mehr er selbst. Mehr schlecht als recht versuchte ich die Buchhandlung zu führen. Und dann, nur wenige Monate nach dem Tod seiner geliebten Frau, nahm sich mein Vater das Leben. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie diese Zeit für mich war. Ein Albtraum, der kein Ende nahm. Und die Vorwürfe und Beschuldigungen der Tanten, die all dies schon immer vorhergesehen haben wollten.“
Bonné schloss die Augen und schwieg. Auch die Frauen brachten keinen Ton heraus.
„Wenn es zu qualvoll für dich ist, Bonné, dann lass es gut sein mit den vergangenen Tagen“, sagte Tjalda schließlich mit rauer Stimme. Doch Bonné schüttelte den Kopf.
„Nein, im Gegenteil.“ Er blickte in die Runde. „Es tut gut, euch all dieses zu erzählen. Ihr hört mir mitfühlend zu, und das ist mir viel wert. Ich hatte nie viele Freunde. Dazu war mein Elternhaus zu anders, und das hat mich wohl geprägt. Die anderen Kinder fanden mich merkwürdig, und mein wichtigtuerisches Auftreten wurde mir als Arroganz ausgelegt. Nach Vaters Tod gab es dann niemanden mehr, der sich meiner angenommen hätte – außer den Tanten natürlich. DieBuchhandlung musste verkauft werden. Zu
Weitere Kostenlose Bücher