Die Friesenrose
wurde im Verlauf des Kriegsgeschehens von den Franzosen eingenommen. Mehr und mehr Soldaten und ungezügelte Horden von Kriegsknechten zogen durch die Stadt. Die Franzosen forderten hohe Abgaben und ließen hunderte von Ostfriesen und Pionieren an der Befestigung Emdens arbeiten. Die Kosten für Material und Gerätschaft musste die Bevölkerung selbst aufbringen. Dazu noch Nahrungsmittel wie Weizen, Roggen und Gerste für die Soldaten, Hafer und Heu für die Pferde. Mein Vater wiederholte in späteren Jahren immer wieder den Ausspruch des französischen Generals Dumouriez: ,Für die Truppen muss gesorgt werden, und wenn dabei ganz Ostfriesland draufgehen sollte.‘ Einige Handelszweige profitierten zwar von dem Ausnahmezustand, aber die Geschäfte meines Vaters liefen während dieser Zeit nicht gut. Allerdings glich meine Mutter die fehlenden Einnahmen dadurch aus, dass sie für die Franzosen dolmetschte. So überstanden meine Eltern auch diese schwere Zeit.
Der mangelnde Geschäftssinn meines Vaters war auch immer wieder Streitpunkt zwischen ihm und meinen Tanten Rosina und Helena. Sie hatten ihren alten Gram begraben und besuchten uns, zu unserem Leidwesen, nach dem Krieg wieder regelmäßig. Meine Mutter nannte sie ,die Spürnasen‘, weil sie stets Wohnung und Laden mit Argusaugen unter die Lupe nahmen. Ihr Augenmerk galt der Sauberkeit – auch meiner! Natürlich auch meinem Schulbesuch und vielen anderen Dingen, die ein Kind nicht gerne hat. Ich erinnere mich, dass ich jedes Mal in Tränen ausbrach, wenn sie ihren Besuch ankündigten.
Mich beschimpften die Tanten als besonders ungeratenes Balg, und auch meine Mutter fand keine Gnade vor ihren Augen. Ihre Mahlzeiten seien ungenießbar, die Wohnungnicht sauber genug und ihre Kleidung unanständig. Außerdem wäre sie viel zu zart. Kein Fleisch sei an ihr dran, und immer wieder brachten die Tanten ihre Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass mein Vater sich überhaupt zu so einer Narretei wie dieser Heirat habe hinreißen lassen. Die Schwestern ritten darauf herum, dass sie dem Bruder die Jugend geopfert und zeitlebens hart gearbeitet hätten, nur damit er sich jetzt mit seiner Französin vergnügen könnte. Vergnügt war niemand von uns in den Tagen ihrer Anwesenheit. Alle schlichen betrübt im Haus umher. Aber auch diese Zeiten gingen vorbei, und nach den Besuchen der Tanten herrschte dann stets eine etwas weltfremde Fröhlichkeit.
So verlebte ich meine Kindheit in Emden und fühlte mich dort, sofern Rosina und Helena nicht da waren, zu Hause. Die Schulzeit allerdings war eher ein Ärgernis für mich. Mein Vater sprach nie darüber, aber ich glaube, es betrübte ihn, dass ich nicht seine Klugheit besaß. Dafür half ich aber liebend gern in der Buchhandlung. Für geringes Entgelt trug ich Zeitungen und Spirituosen zu ihren Abnehmern, lernte begierig die feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Weinen und Likören kennen und wusste genau, wem ich welches Buch empfehlen konnte.
Unsere Wohnung über dem Laden war klein und gemütlich, ein Zufluchtsort vor der manchmal nicht sehr freundlichen Welt um uns herum. Wisst ihr, in den letzten Jahren des Siebenjährigen Krieges wurden von den französischen Soldaten in Ostfriesland viele Gräueltaten verübt. Wir hatten alle furchtbare Angst, und abends konnte man sich nicht mehr vor die Tür trauen. Es wurde geschlagen, niedergebrannt, vergewaltigt und getötet. Die Franzosen gingen dabei immer brutaler vor. Sie äscherten Häuser ein, erschlugen bei Rahe eine alte Frau mit Gewehrkolben, schnitten Menschenden Leib auf und erstachen ein kleines Kind mit dem Bajonett. Das trieben sie so lange, bis das Maß des Grauens voll war und die geschundenen Ostfriesen zum Gegenangriff übergingen.
Meine Eltern beteiligten sich nicht an diesem Widerstand, aber da meine Mutter Französin war, machten die Emder Bürger sie für das Tun ihrer Landsleute verantwortlich. Missfallen hatte ihnen schon, dass Mutter für den Feind übersetzt hatte, doch im Laufe der später folgenden Gewalttaten wurde sie zunehmend beschimpft und bespuckt. Niemand betrat mehr den Laden meines Vaters. Das änderte sich erst wieder, als es den Ostfriesen mithilfe meiner Mutter gelang, die noch in Emden befindlichen Franzosen in eine Falle laufen zu lassen. Mama, vermeintlich eine getreue Französin, hatte Pläne der Belagerer an die Ostfriesen verraten, denen es mit diesem Wissen gelang, die letzten Soldaten einzukesseln und zum Abzug zu zwingen.“
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