Die Friesenrose
gegenüber äußerten sie, sich in geschäftlichem Interesse mit dem Wirtschaftsleben der Stadt auseinandersetzen und Zeitungen kaufen zu müssen, in Wahrheit aber nutzten viele deren Papier nur zum Einwickeln von flüssigen Genüssen.“
„Das habe ich mir gedacht!“, nickte Tjalda. „Das ist wieder einmal typisch Mann.“
„Na, es waren ja nicht alle so. Und“ – Bonné wiegte seinen Kopf leicht hin und her – „ab und zu einen guten Tropfen zu genießen, habe ich den Herren gerne gegönnt. Die Meisten hatten es unter dem Pantoffel ihrer Frauen auch nicht immer leicht. Ihr glaubt gar nicht, was für Geschichten wir oft zu hören bekamen.“
„Ja, ja, die armen Männer.“ Tjalda verzog das Gesicht. „Ichkann es nicht mehr hören. Sag mal, Bonné, habt ihr damals in Emden auch die so genannten Intelligenzblätter verkauft?“
„Ja, anfangs sogar fast ausschließlich. Die Herausgabe wurde von der Landesherrschaft gesteuert, und die Zeitungen enthielten hauptsächlich Handelsanzeigen, Marktpreise und kleine Beiträge für Haus und Hof. Verordnungen, Gesetze und amtliche Nachrichten wurden auch unter das Volk gebracht und haben, nebenbei gesagt, die öffentliche politische Meinung beeinflusst. Ich persönlich machte mir nichts aus den amtlichen Blättern, sondern liebte eher Wochenzeitungen wie die , Vielfältigkeit’, in der es ein buntes Allerlei von Artikeln, Ratschlägen für die Hauswirtschaft und anderes gab. Tjalda, kennst du noch das , Emder Blatt für die Jugend‘?“
„Nein.“ Die Geldhändlerin schüttelte den Kopf. „Das war wohl vor meiner Zeit.“
Bonné lachte leise in sich hinein. „Ein Heftchen, das besonders durch seinen sauertöpfischen, schulmeisterlich-pastoralen Ton bestach. Die Herausgeber machten es sich zur Aufgabe, die Sittlichkeit und die nützliche Unterhaltung zu fördern. In drei Jahren brachte es das Blatt lediglich auf zwölf Ausgaben. Der Zuspruch der Jugend war sehr dürftig. Allerdings machten es die immer schärfer werdenden preußischen Zensurbestimmungen den Herausgebern privater Zeitungen damals auch nicht leicht, und viele Blätter verschwanden genauso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Mit den Zeitungen ließ sich mehr Geld verdienen als mit dem Verkauf von Büchern. Unseren Jahresbedarf an Lesegut bestellten wir zumeist auf den Buchmessen von Leipzig oder Frankfurt. Natürlich war das riskant, denn niemand wusste genau, welcher Lesestoff Abnehmer finden würde. Das Besuchen der Messen, das Aussuchen und Bestellen, gehörte zu den liebsten Tätigkeiten meines Vaters. Glücklich war er aber eigentlich nur inGegenwart meiner Mutter. Meine Eltern liebten einander zeit ihres Lebens abgöttisch, aber für mich blieb auch noch ein wenig Zuneigung übrig.“
„Ein wenig Zuneigung.“ Sumi legte ihre Stirn in Falten. Sie hatte mit ihrem feinen Gespür begriffen, dass Bonnés Kindheit nicht ganz so rosig gewesen war, wie er ihnen glaubhaft machen wollte. „In China bringt man Kindern Liebe entgegen. Zuneigung ist etwas für Freunde.“
Bonné seufzte traurig. „Sie liebten mich wohl auf eine eher zurückhaltende Art, weil sie zu sehr ineinander aufgingen. Da blieb in ihren Herzen eben nicht mehr so viel Raum für ihren Sohn. Aber ich will mich nicht beklagen. Nur habe ich deshalb vielleicht allezeit etwas viel, oder auch zu viel geredet.“ Er warf einen Seitenblick auf Tjalda. „Das war schon immer so. Ich tat es, damit mich überhaupt jemand wahrnahm. Und eines Tages lässt sich so eine Angewohnheit dann nicht mehr ablegen.“
Sumi streichelte ihn zart mit ihren Blicken. „Frauen“ – sie zwinkerte Tjalda und Inken zu – „lieben es, wenn ein Mann nicht um Worte verlegen ist. Es gibt ja wahrlich genug stumme Ostfriesen, bei denen diese unwissende Frau fast glauben muss, die Zähne seien ihnen festgeklebt.“
„Und Bonné“, fiel Tjalda in warnendem Ton und etwas spöttischer Miene ein. „Versuche nur ja nicht, dich jetzt noch zu ändern, wo ich mich gerade mit deiner Geschwätzigkeit abgefunden habe. Und jetzt fahre lieber fort mit deiner Geschichte, damit sie noch ein Ende findet.“
„Also, wo war ich stehen geblieben?“ Bonné überlegte eine Weile. „Ach ja, mein Vater führte die Buchhandlung mehr schlecht als recht. Manchmal lag es jedoch nicht an ihm, wenn das Geschäft nicht lief. Während des Siebenjährigen Krieges beispielsweise. Ich war damals noch ein recht kleinerJunge und kann mich nur noch dunkel daran erinnern. Emden
Weitere Kostenlose Bücher