Die Friesenrose
Reise in deine Heimat angetreten hat, kommt mir Kanton zum Greifen nahe vor.“
„Das ist ja wohl ein wenig übertrieben“, ereiferte sich Bonné. „Zum Greifen nahe kommt mir im Moment nicht einmal Emden vor.“ Er strich sich über sein schmerzendes Hinterteil.
„Ach, Bonné!“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sumi, erzähl uns doch ein bisschen darüber, wie aus den grünen Blättern der Teesträucher, die in deiner Heimat wachsen, unser schwarzes Gold wird. Das wird Bonné von seinem gemarterten Hinterteil ablenken.“
Sumi schwieg für einen Augenblick, und es schien, als ob sie tief in sich hineinlausche.
„Diese vergessliche Frau versucht, sich der Bilder der Teegärten und der Teepflückerinnen zu erinnern“, begann sieschließlich. „Ihre Reisegefährten mögen für einen Augenblick die Augen schließen und dieser träumerischen Frau in die Plantagen Chinas folgen.“ Sie legte die Handflächen aneinander. „Es ist Mai und die Zeit der ersten Ernte. Dicht aneinander in Reihen gepflanzt stehen die immergrünen, von kurz gestielten, lederartigen Blättern überzogenen Teebüsche. Sie überziehen steile Bergrücken, die im Sonnenschein üppig grün glänzen.
Der beste Tee wächst auf Bergen, deren Spitzen von Wolken gestreichelt werden. Der Teestrauch wuchs ursprünglich zu Füßen des Urwaldes und braucht zum guten Wachstum Schattenpflanzen, die ihn vor Sonne und Wind schützen. Seht die vielen Vögel, die in ihnen ein Zuhause finden. Hört ihre Lieder, riecht den betörenden Duft, der in der Luft liegt, und fühlt euch wohl wie die Teepflückerinnen. Sie stehen zwischen den Reihen und arbeiten. Beglückt lauschen die Frauen den Liedern der Vögel, sie singen mit ihnen und spüren die Wärme der Sonne auf ihrem Rücken. An der Beschaffenheit der Teeblätter sehen die Arbeiterinnen, dass es eine gute Ernte werden wird. Das macht sie froh.
Während der Mund singt, greifen die Finger nach den grünen, frischen Blättern des Teestrauches. ,Der Tee ist so gut wie seine Pflückerin‘, sagt man in China. Die Frauen müssen genauestens auswählen, welche Blätter sie über ihre Schulter in den Sammelkorb werfen. Es sind immer die zwei jüngsten Blattaustriebe und die behaarte Blattknospe. Jede Pflückerin weiß genau, wie gute Teeblätter beschaffen sein müssen. Lu- Yu, der Verfasser der heiligen Schriften vom Tee, hat es vorgegeben:
Manche Teeblätter sehen faltig aus, wie die Lederstiefel tatarischer Reiter, andere regelmäßig wie die Brust eines mächtigen Bullen, andere gekräuselt wie ziehende Wolken über denBergen, noch andere wie das vom Windhauch aufgerührte Wasser oder wie feine Erde, die der Regen soeben genetzt hat .
Die Pflückerinnen arbeiten viele Stunden am Tag. Immer wieder leeren sie ihre Kiepen, um dann in die Reihen zurückzukehren. Es werden keine langen Transportwege in Kauf genommen. Nur Tee, der sofort verarbeitet wird, ist von bester Qualität. Deshalb erfolgt auch das Welken, Rösten, Rollen und Verpacken schon auf der Plantage. Je schneller der Tee nach dem Pflücken geröstet wird, desto besser ist er.
Zunächst werden die gepflückten Teeblätter von Arbeiterinnen in flache Bambussiebe geschüttet und zum Welken in die Sonne gestellt. Um die Zellwände zu öffnen und die überschüssige Flüssigkeit entweichen zu lassen, drücken die Frauen den Tee mit ihren Händen und schlagen ihn mit kleinen Stöcken. Durch das Welken wird das Blatt biegsam wie weiches Leder.
Danach wird der Tee über einem Feuer erhitzt. Die Chinesen sagen, sie rösten den Tee. Dazu bedarf es erfahrener Männer. Das Rösten geschieht in einem Hyson Kuo , einer Art großer Pfanne. Der Kuo wird mit einem Feuer aus trockenem Holz zur Rotglut gebracht. Die Röster geben eine bestimmte Menge Teeblätter hinein. Dampfwolken steigen auf, ein leises Krachen der Blätter ist zu hören. Riecht den Tee, hört das Knistern der Blätter, und spürt die Hitze, die vom Feuer ausgeht. Die Männer rühren die Teeblätter um. Es wird heiß und heißer. Sie können nicht schnell genug ihre Hände wechseln. Ein wirklich guter Röster wirft die Blätter hoch in die Luft, damit der Dampf entweichen kann und sich keine Klumpen bilden. Wenn die Hitze zu groß wird, werden die Blätter in einen bereitstehenden Korb gegeben.
Nach dem ersten Rösten werden sie dann gerollt, das heißt zwischen Platten gelegt, die gegeneinander bewegt werden.Dies ist der aufwendigste Vorgang bei der Teeherstellung, und die
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