Die Friesenrose
unter die Tür geschoben zu haben.“
Sie bückte sich und hielt einen Umschlag in der Hand. Verblüfft starrte Tjalda auf das Couvert, dann erkannte sie Cirks Schrift, und ihre Hand fing an zu zittern. Langsam drehte sie sich zu den anderen um.
„Es ist ein Brief von Cirk. Verdammt! Er muss hier gewesen sein. Ausgerechnet dann, wenn ich einmal nicht zu Hause bin.“
Tjalda nötigte alle in die Wohnung und ließ sich in einen Sessel fallen. „Hoffentlich gibt es nun endlich einmal gute Nachrichten. Ich habe in Delfzijl einen Boten nach Cirk suchen lassen.“ Bei diesen Worten blickte sie Inken nicht an. „Er ist unverrichteter Dinge wieder zurückgekehrt. Die Belagerung war zu diesem Zeitpunkt ja schon aufgehoben, und Cirksoll angeblich erst vor wenigen Tagen mit unbekanntem Ziel aufgebrochen sein. Sein Freund, dieser Engländer, liegt schwer krank im Lazarett.“ Sie holte tief Luft. „Und während ich ihn hab suchen lassen, ist der Junge hier in Emden. Was für ein verdammtes Pech aber auch.“
Sumi und Bonné waren nahe zu Tjalda herangetreten, aber Inken hielt sich bewusst abseits und versuchte unbeteiligt zu wirken. Der Brief in Tjaldas Händen ließ sie innerlich zittern. Warum musste Cirk nur wieder von sich reden machen? Warum konnte er sie alle nicht einfach in Ruhe lassen? Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihre Freundin den Umschlag aufriss und das Blatt auseinanderfaltete.
Tjalda las und wurde blass. „Er ist fort! Wartet, ich lese euch seine Zeilen vor:
Liebe Tjalda ,
seit Stunden warte ich nun schon vor deinem Haus, doch jetzt bleibt mir keine Zeit mehr. Ich hoffe, dass dich zumindest meine Zeilen erreichen werden, denn in wenigen Stunden schon muss ich eine Reise antreten, die mich weiter von dir, von euch allen entfernt, als ich es mir je habe träumen lassen. Wie sehr hatte ich gehofft, dich und vor allen Dingen Inken noch vor meiner Abreise zu sehen. Doch mir bleibt keine andere Wahl, als zu gehen. Ich muss eine Schuld begleichen, und dies scheint der einzige Weg zu sein. Du kennst meine Vergangenheit und weißt, dass ich niemandem jemals etwas schuldig bleibe. Bald wird ein langer Brief dich erreichen, der alle meine Beweggründe enthält. Dann wirst du es verstehen!
Tjalda, zwischen Inken und mir haben sich Missverständnisse aufgebaut, die ich so gerne noch aus dem Weg geräumt hätte. Es bricht mir das Herz, gehen zu müssen, ohne michmit ihr ausgesprochen zu haben. Beim Gedanken daran zittern mir die Finger so sehr, dass es mir fast nicht gelingen will, diesen Brief zu beenden. Du kennst mich und weißt, dass ich nicht der Schuft bin, für den Inken mich möglicherweise hält. Aber ich habe ihr auch nie von meiner Vergangenheit erzählt und bitte dich nun darum, dies für mich zu tun. Dann wird auch sie verstehen, warum ich diese Reise antreten muss, obwohl sie uns voneinander trennt .
Ach Tjalda, es tut mir so furchtbar leid, Inken verlassen zu müssen!
In Liebe
Cirk
Alle blickten sich entsetzt an.
Der Geldhändlerin liefen Tränen über die Wangen. „Der arme Junge. Was hat er nur angestellt? Und warum muss er fortgehen? Zum Teufel mit seinem verdammten Stolz! Niemandem etwas schuldig bleiben – pah! Was kann das nur für eine Schuld sein, die ihn für so lange Zeit und noch dazu so plötzlich von uns forttreibt?“
Inken musste sich festhalten, um nicht zu fallen. Ihre Hände umklammerten die Rückenlehne des Küchenstuhls so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Ein Sturm von Gefühlen brauste über sie hinweg, und sie erkannte, dass sie tief in sich immer noch einen Funken Hoffnung gehabt hatte, der durch Cirks beiläufig dahingeschriebene Worte nun endgültig erloschen war.
„Es tut mir so furchtbar leid, Inken verlassen zu müssen“ , hallte es in ihr nach, „es tut mir leid, leid, leid …“ Glaubte Cirk wirklich, ein paar entschuldigende Worte wären genug? Ihr war sofort klar gewesen, welche Schuld Cirk aus dem Wegräumen wollte oder musste. Es ging natürlich um Lucia. Cirk hatte der Schwester seines besten Freundes ein Kind angehängt. Und so befand er sich nun entweder freiwillig auf dem Weg nach England, um das Problem Lucia auf seine Art zu lösen, oder Thomas Devon hatte ihn unter Druck gesetzt. Wozu ein enttäuschter Freund wohl fähig war? Vielleicht ging es ihm um Geld, als Gegenleistung für die Ehre seiner Schwester. Im Grunde konnte es ihr gleichgültig sein. Es musste ihr einfach gleichgültig sein! Tränen stiegen Inken in die Augen,
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