Die Friesenrose
und sie wollte nur noch alleine sein. Mit einer einzigen Bewegung drehte sie sich um und ging hölzern in die Küche, wo sie sich innen gegen die Tür lehnte.
Tjalda würde ihrer Vermutung sowieso nicht glauben. Sie vergab Cirk, was auch immer er tat. Doch sie, Inken, vergab ihm nicht. Allein der Gedanke, dass er sich eingebildet hatte, sie würde immer noch auf ihn warten, versetzte sie in Rage. Die eisige Kälte in ihrem Inneren wich und machte einer unbändigen Wut Platz. Dieser Bastard! Nach all den Wochen ohne ein Lebenszeichen, nach all der Qual und den durchwachten Nächten ein „Es tut mir so leid“! Wie billig, wie einfach!
Schwer atmend stützte sie sich auf den Tisch. Und Tjalda, die ihr gefolgt war, zog die Freundin ohne ein Wort an sich und wiegte sie in ihren Armen wie ein Kind.
Abhängigkeiten
Erschüttert trug Tjalda an diesem Abend das Geschirr in die Küche zurück. Selbst Bonné war es nicht gelungen, sie aufzuheitern. Und Inken hatte mit versteinerter Mine und scheinbar unbeteiligt am Tisch gesessen, während sie Teetranken, bis die Kanne leer war. Danach waren Sumi und Bonné gegangen.
Tjalda fühlte sich wie eine müde, alte Frau. Langsam und zögerlich ließ sie sich schließlich neben Inken in einen Sessel gleiten. „Inken, ich möchte dir von Cirk erzählen, wie er es sich in seinem Brief gewünscht hat, und weil ich denke, dass es dich ihm wieder näherbringen könnte, will ich es auch nicht weiter aufschieben.“
Vor Kurzem noch hätte Inken es nicht erwarten können, mehr über Cirk und seine Vergangenheit zu erfahren. Aber das schien lange her zu sein. Als sie Tjalda jetzt zunickte, tat sie es aus anderen Motiven. Vielleicht erfuhr sie ja etwas, was ihr Urteil über diesen Mann nachträglich noch bestätigte. Vielleicht war ihm die Falschheit schon in die Wiege gelegt worden. Außerdem könnte es eines Tages nützlich sein, Cirks Geschichte zu kennen. Wenn das unberechenbare Schicksal es zu einer Konfrontation kommen lassen würde, hätte sie wenigstens Munition gegen ihn in der Hand. Denn Wut allein würde ihr dann nicht helfen. Deshalb neigte sie Tjalda jetzt betont interessiert den Kopf zu.
„Also, weshalb glaubst du, hat Cirk die Reise angetreten? Oder sollte ich besser fragen, wovor er so plötzlich davongerannt ist? Aus Angst vor mir ja wohl kaum.“ Obwohl Inken es nicht wollte, klang ihre Stimme bitter.
„Angst.“ Tjalda blickte Inken ins Gesicht. „Doch, gerade das ist es, was ich glaube. Allerdings denke ich dabei eher an eine Furcht, die Cirk vor sich selbst und seinen Gefühlen haben könnte. Vielleicht täusche ich mich aber auch. Wenn es wirklich stimmt, dass diese Frau, diese Lucia, sein Kind erwartet, mag es sein, dass er aus Furcht vor der Verantwortung oder einer Bindung geflohen ist. Obwohl ich das einfach nicht glauben kann.“
„Weil du es nicht glauben willst!“ Inken schnaubte empört. „Aber genau so ist es. Wir beide haben uns getäuscht in diesem Mann. Nur willst du es nicht sehen.“
„Ich bin mir tatsächlich nicht sicher. Deshalb suche ich noch immer nach einer Erklärung, die mein Urteil über Cirk bestätigt. Denn in meinem Inneren weiß ich, dass dieser Mann nicht der Schuft ist, für den du ihn hältst, Inken. Ich kann es nicht begründen, es ist nur ein Gefühl, und ich wünschte, ich könnte dieses Empfinden und dieses nicht Greifbare, was Cirk betrifft, in Worte kleiden, aber das ist nicht leicht. Vielleicht kannst du besser erahnen, was ich meine, wenn ich dir eine Geschichte erzähle, Cirks Geschichte oder, besser gesagt, die seiner Mutter. Fasse es bitte nicht als Entschuldigung für sein Verhalten auf. Denn das ist nicht zu entschuldigen, das weiß ich. Aber vielleicht lernst du ihn dadurch besser verstehen, sein Verhalten begreifen. Das ist es auch, was er sich erhofft. Weißt du, Cirk ist durch eine harte Lebensschule gegangen, und das von frühester Kindheit an. Vor einer halben Ewigkeit schon hat er mir davon erzählt.“ Tjalda fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle sie eine widerspenstige Haarlocke zur Seite schieben. „Ich hatte nie die Absicht, mein Wissen über ihn mit einem anderen Menschen zu teilen. Aber nun, da er es wünscht …“ Sie holte tief Atem und begann.
„Weißt du, vermutlich hängt Cirks Verhalten mit seiner Mutter zusammen. Sie war eine Frau, die nur eine Art von Liebe kannte: die bedingungslos aufopfernde Liebe. Ihr Name war Anna. Sie stammte aus einem sehr religiösen Elternhaus. Ihr
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