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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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schlief. Es gab ehrliche und unehrliche Männer unter den Kunden. Und Letzteren fiel Anna in ihrer Unschuld zum Opfer. Anna die Träumerin, Anna, die immer noch an die große Liebe glaubte. Viele Besucher nutzten die Kneipe nur, um gemeinsam mit anderen zu trinken, vielleicht auch, um weniger einsam zu sein. Doch die Kneipe war nicht nur ein geselliger Treffpunkt, sie war auch ein Umschlagplatz. Du musst wissen, dass mit den Schiffen nicht nur normale Handelsgüter nach Hamburg gelangten, sondern auch Waren, die nicht überall frei käuflich waren. Opium zum Beispiel. Das Gift wurde in kleinen Mengen und von geschulten Händen als Medikament gereicht. Unter der Hand verkaufte man das Rauschmittel jedoch als Garant für Träume jeglicher Art und als Fluchtmittel vor einer oftmals schalen Wirklichkeit. Und dafür, dass das Opium verborgen blieb, sorgte Anna.“
    Tjalda ließ auf einmal den Kopf hängen und blickte zu Boden, als falle es ihr besonders schwer, den nun folgenden Teil der Geschichte zu erzählen. Schließlich griff sie nach dem Becher mit der inzwischen kalt gewordenen Milch und tranklangsam und bedächtig aus ihm, als müsse sie sich für das Ende der Geschichte erst noch wappnen. „Kennst du die Wirkung von Opium?“
    Inken hatte kaum zu atmen gewagt. Nun antwortete sie leise. „Ja! Es macht süchtig. Wird dieses Gift nicht aus den Samenkapseln des Schlafmohns gewonnen?“
    „Richtig.“ Tjalda nickte. „Meistens wird das Rohopium in Opiumpfeifen geraucht. Es kann aber auch in Alkohol aufgelöst getrunken werden. Die Kneipe, in der Anna arbeitete, war ein idealer Umschlagplatz für das Rauschgift. Kaum vom Schiff geladen, wurde es dort verborgen und verkauft. Zuerst war es Anna gar nicht bewusst, wozu sie da benutzt wurde. Sie sorgte lediglich dafür, dass sich das Opium gut versteckt in Schirmmützen und Tabakdosen, in Schnupftücher und Handmuffen wiederfand, es füllte geheime Fächer in Geldbörsen und war nicht zuletzt Bestandteil von Kräuterkissen, die auch in die Hände wohlhabender Damen und Herren gelangten. Denn das Rauschgift unterschied nicht zwischen Reich und Arm, zwischen Alt und Jung. Es machte alle abhängig, ohne Ausnahme. Und auch Anna blieb nicht von ihm verschont. Sie erhielt für ihre Arbeit natürlich Lohn. Mehr, als sie sich jemals erträumt hatte, auf ehrlichem Weg zu verdienen. Mit diesem Lohn konnte sie sich und ihrem Sohn nach vielen entbehrungsreichen Jahren endlich ein angenehmeres Leben verschaffen. Sie sorgte dafür, dass Cirk auf eine gute Schule kam, und er, der von alldem noch nichts verstand und wusste, freute sich mit ihr. An Annas freien Tagen gingen sie gemeinsam am Hafen spazieren und träumten von einer Zukunft, in der Cirk als Kapitän seiner Mutter die ganze Welt zu Füßen legte. Sie malten sich Tage auf einsamen Inseln und an weißen Stränden aus. Doch die Wirklichkeitsah anders aus. Sie war rau und hart. Und als Cirk alt genug war, um mitzubekommen, welchen Preis seine Mutter für das bisschen Luxus zahlte, war es bereits zu spät. Die Schmuggler hatten sich Annas Schweigen nicht nur mit Geld, sondern auch mit Opium erkauft.“
    Die Tonlosigkeit, die sich nun in Tjaldas Stimme schlich, machte Annas Elend nur noch deutlicher. „Mit jeder Dosis, die sie ihr gaben, versiegelten sie ihr den Mund. Bis Anna nicht mehr ohne das Gift leben konnte. Anfangs nahm sie es abends als Schlaftrunk zu sich. Eine Mischung aus Wein und Opium gaben die Männer ihr. Das Gift versetzte sie in einen Höhenflug und begleitete sie in eine Traumwelt, in der die elende Wirklichkeit keinen Raum hatte. Anna taumelte allabendlich in einen seligen Schlaf, der sie dem Vater ihres Sohnes in die Arme trug. Bald wollte und konnte Anna nicht mehr ohne diese Träume leben. Sosehr sie die Tagträume mit ihrem Sohn auch liebte, in den Nächten gehörte ihre Liebe immer noch dem Mann, der sie niemals gewollt hatte. Mehr und mehr wurden die Träume, oder besser gesagt das Gift, das die Träume verursachte, zu Annas Lebensinhalt. Was, so muss sie sich gefragt haben, blieb ihr noch, wenn die Hoffnung, die zunehmend schwand, abends nicht wieder zum Leben erweckt werden konnte? Als Cirk zehn war, konnte seine Mutter keine Nacht mehr ohne Opium sein. Sie war dem Gift hoffnungslos verfallen, daran änderte auch die Liebe zu ihrem Sohn nichts. Wieder und wieder flehte Cirk sie an, es nicht mehr einzunehmen, doch Anna kam nicht mehr ohne Opium aus, obwohl sie nur mehr ein Schatten ihrer selbst war.

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