Die Friesenrose
nehmen!
Mit gesenktem Kopf, aber leichten Fußes, verließ Inken den Strand. Bald würde sie weit fort sein, je eher, desto besser. Vielleicht sollte sie sich sogar gleich jetzt auf den Weg zu Garrelt machen. Warum erst noch warten, bis er sie abholen kam? Auf dem Weg zum Hafen würden sie einfach einen kleinen Abstecher machen, um ihr Gepäck zu holen. Ein schneller Abschied im Haus ihres Vaters wäre für alle leichter, und vielleicht würde ihr Cirk dabei nicht einmal begegnen.
Inken gestand sich ein, dass die Furcht davor, Cirk noch einmal zu sehen, der eigentliche Grund war, warum sie den Weg zu Garrelts Kate einschlug. Unbewusst schritt sie schneller aus. Fast hatte sie die Dünen schon erreicht, als sie jemand ihren Namen rufen hörte. Inken wandte sich um und vermeinte für einen Moment ein Trugbild zu sehen. Der Schreck durchfuhr sie wie ein Blitzschlag, und ungläubig starrte sie auf den Mann, der immer näher kam. Er schien ihm Mühe zu machen, dieser Weg, den auch sie zuvor gegangen war. Doch davon unbeirrt, verringerte er den Abstand zwischen ihnen. Inken verspürte den unbändigen Wunsch davonzulaufen, doch ihre Füße bewegten sich nicht.
Cirk war ihr zum Strand gefolgt. Inken schloss die Augen, drehte ihm den Rücken zu und versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen, um sich wieder zu beruhigen. Außerdem wollte sie nicht, dass Cirk ihre augenblickliche Verwirrung bemerkte.
Warum nur fiel es ihr so schwer, seinen Anblick zu ertragen? Warum konnte sie ihm nun, da sie von allem Abschied genommen hatte, nicht leichten Herzens in Gesicht sehen?
Inken starrte auf den Horizont und rang um Fassung. Sie nahm weder die Sandbank wahr noch die silbernen Strahlen der Morgensonne, die auf den Wellen tanzten.
Konnte dieser Mann sie nicht einfach in Ruhe lassen? War ihr der Abschied nicht schon schwer genug gefallen?
Wut stieg in Inken auf und half ihr, sich der Begegnung zu stellen. Sie wandte sich entschlossen um und verschränkte die Arme vor der Brust. Kühl wirkte sie und unnahbar, doch das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Es trennen uns nur noch wenige Schritte, ging es ihr durch den Kopf, und doch liegt ein Meer aus Tränen zwischen uns.
Schließlich blieb Cirk vor ihr stehen. Sein Atem ging schwer, und Inken erkannte, wie erschöpft er war. Seine Augen blickten ernst, aber auch voller Hoffnung, und in seinen Händen hielt er ein Blatt Papier.
„Inken.“ Seine Stimme klang atemlos und voller Freude. „Gott sei Dank habe ich dich noch rechtzeitig gefunden! Du darfst nicht gehen!“ Seine Augen suchten die ihren. „Du brauchst nicht mehr zu gehen! Siehst du diesen Brief in meinen Händen? Er verändert alles. Wir sind beide von Lucia getäuscht worden. Alles, was du jemals über mich zu wissen glaubtest, ist eine Lüge.“ Er forschte in ihrem Gesicht nach einer Reaktion. „Bitte lies diese Zeilen.“ Cirk streckte ihr den Bogen entgegen, aber Inken nahm ihn nicht an.
„Das spielt jetzt keine Rolle mehr“, sagte sie schließlich mit entschlossener, fester Stimme. „Ich habe mich entschieden!“
Vielleicht wäre es ihr gelungen, den Anschein von Kühle und Gleichmut zu wahren, wenn Cirk spöttisch oder arrogant auf ihre Antwort reagiert hätte. Doch in seinem Gesicht fand sie nur Bestürzung und eine tiefe Traurigkeit.
„Du hast deine Entscheidung getroffen, ohne die Wahrheit zu kennen. Lucia, dieses verdammte Weibsbild, hat dichangelogen. So wie sie es immer tut. Ich bin nicht der Vater ihres Kindes. Lucia hatte eine Affäre mit einem spanischen Kapitän.“
Er streckte die Hände nach ihr aus, aber Inken wich zurück und schüttelte abwehrend den Kopf. Es war ihr gleichgültig, wer der Vater von Lucias Kind war. Sie fühlte sich auf einmal todmüde – an Körper, Geist und Seele. Sie wollte keine Erklärungen mehr, die neue Hoffnungen in ihr schürten. Sie wollte nur noch Ruhe und Frieden.
„Bitte, Inken.“ Cirk umklammerte verzweifelt ihren Arm. „Geh nicht fort, ohne diesen Brief gelesen zu haben.“
Zögerlich griff Inken nach dem Bogen, ließ das Papier dann jedoch wieder sinken. Sie schüttelte den Kopf. „Es wird nichts ändern, Cirk.“
„Mein Gott“, rief Cirk verzweifelt aus und stieß die zur Faust geballte Hand in die Luft. „Du willst also zulassen, dass diese Intrigantin uns auseinanderbringt?“ Er riss sich wieder zusammen und tat einen tiefen Atemzug. „Inken, ich habe dir mangelndes Vertrauen vorgeworfen, doch dein Urteil über mich war gerechtfertigt. Wie
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