Die Friesenrose
ihr Duft, so frisch wie ein junger Frühlingsmorgen. Lange Zeit verharrte Cirk reglos. Wie schon einmal hatte er das Gefühl, Inken gegenüber alles falsch gemacht zu haben. Was war nur geschehen, dass sie sich derart verrannt hatten? Was war das für eine Sache mit Lucias Brief? Er musste das Rätsel einfach lösen. Cirk presste die Hände an den Kopf, der zu zerbersten drohte. Er musste Inkens Liebe zurückgewinnen!
Am Strand
Unruhig lief Inken in ihrem Zimmer auf und ab und blieb immer wieder am Fenster stehen. Vom Meer her drang das Schreien der Möwen herein. Es waren schrille, einsame Rufe. Schließlich war die Mondsichel hinter dem Horizont verschwunden. Seufzend ließ Inken sich auf ihr Bett fallen, dochStunde um Stunde verging, und sie fand keinen Schlaf. Mit müden Augen verfolgte sie, wie die Nacht langsam zum Tag wurde.
Warum nur war sie so unruhig? Beim Zusammentreffen mit Cirk, vor dem sie sich gefürchtet hatte, war sie zornig und aufgewühlt gewesen. Aber das konnte sie sich vergeben. Aber warum fühlte sie jetzt keine Erleichterung? Erleichterung darüber, dass es endlich vorbei war und sie diese Begegnung unbeeinträchtigt überstanden hatte. Zumindest fast. Denn da waren noch immer diese Unruhe und dieser Zorn in ihr.
Das Zusammentreffen mit Cirk hatte sie entsetzlich viel Kraft gekostet, doch sie war nicht zusammengebrochen! Und plötzlich spürte Inken, wie sich wohlige Wärme in ihr ausbreitete. Wärme und ein Gefühl von Stärke und Ruhe. Sie brauchte nicht mehr zu fliehen, sondern konnte frei und ohne Last auf der Seele ihr weiteres Leben leben. Erschöpft ließ Inken sich in ihr Kissen zurücksinken und fiel endlich in den lang ersehnten Schlaf.
Als Inken erwachte, war im Haus noch alles still, und so beschloss sie, noch ein letztes Mal an den Strand zu gehen, um Abschied zu nehmen. Schnell zog sie sich das grüne Seidenkleid mit dem gelbweißen Streublumenmuster über den Kopf, das sie erst vor wenigen Tagen aus einer Laune, einer Verrücktheit heraus gekauft hatte. Es war kein Kleidungsstück, mit dem man in der Kruiderrie arbeiten konnte. Dafür waren der Stoff zu kostbar und der tiefe Ausschnitt und die betont hohe Taille zu auffällig. Doch für diesen Tag, an dem sie zu neuen Wegen aufbrechen würde, war das Kleid genau richtig.
Draußen war es noch frisch, und Inken fröstelte, denn der zarte Stoff bot kaum Schutz vor der morgendlichen Kühle. Und so vergrub sie ihre Hände in den Taschen des Kleides undlief mit weiten Schritten zum Strand. Der Wind fuhr durch ihr offenes Haar und blies ihr den Rock über die Beine. Aber es kümmerte Inken nicht, denn es würde lange dauern, bis die Gischt wieder ihr Gesicht benetzen könnte, wie jetzt in diesem Moment. Weiße Schaumkronen tanzten auf den Wellenkämmen, und der Wind blies so stark, dass es ihr fast den Atem nahm. Lange stand Inken einfach nur so da und betrachtete das Meer. Dann aber überfielen sie, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte, die Erinnerungen. Sie kamen und gingen, erst langsam, dann aber immer schneller, und immer wieder tauchte Cirks Gesicht in der Bilderflut auf, bis Inken glaubte, in ihren Gefühlen ertrinken zu müssen. Da war ihre erste Begegnung mit ihm im Seewolf , der alten Emder Kneipe, dann ihr Zusammentreffen im Moor und natürlich die gemeinsame Zeit auf Norderney. Jedes Wort, jede Geste, jede Empfindung schien sie, ohne dass sie es wollte, in ihrem Inneren bewahrt zu haben. Inken blickte auf das Meer hinaus und sah doch nichts als Cirks Gesicht, hörte nichts als seine Stimme. Schließlich, als sie glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, sank sie wie ein verlassenes Kind in den Sand und barg den Kopf in den Händen, bis sie sich vollkommen leer fühlte. Sie hatte Abschied genommen von der Insel und dem Mann ihrer Träume. Sie hatte sich der Vergangenheit gestellt. Nun würde die Zeit des Vergessens kommen können. Es galt, alles zurückzulassen, was unwiederbringlich verloren war.
Inkens Finger verkrampften sich für einen Augenblick, lösten sich dann aber wieder und fuhren sanft durch den weichen Sand. Plötzlich fand sich eine Muschel in ihrer Hand, die sie so fest um das Gebilde schloss, als könne sie Kraft daraus schöpfen. Tränen rannen aus ihren Augen, doch schließlich verebbte die Trauer. Inken fühlte sich befreit und tateinen tiefen Atemzug. Sie stand auf und wandte dem Wasser entschlossen den Rücken zu. Es war an der Zeit zu gehen. Ihre Erinnerungen sollte das Meer mit sich
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