Die Friesenrose
Frau den Kopf nach draußen.
„Ah, du bist sicher der Rotfuchs!“ Zufriedenheit schwang in ihrer Stimme mit. „Zier dich nicht, sondern komm herein!“
Inken hätte fast aufgeschrien, so fest schüttelte die Geldverleiherin ihre Hand.
„Ich bin Tjalda! Willkommen in meinem Heim.“
Mit offenem Mund starrte Inken die Geldverleiherin an.Woher mochte sie nur von ihrem Kommen gewusst haben? Tjalda schien in ihrem Gesicht lesen zu können.
„Cirk war heute Morgen noch kurz bei mir und hat von dir erzählt, von deinem Seemannsaufzug und deinem roten Haar. Er sagte, er habe die ganze Nacht an dich denken müssen.“
Obwohl Inken sich über ihre Aussage ärgerte, fand sie die Geldverleiherin und das Lachen, mit dem sie ihre Worte begleitet hatte, doch sympathisch. Es war warm und aufrichtig und passte so gar nicht zu dem wettergegerbten, ledrigen Gesicht mit den vielen Falten und dem grauen Haar. Aber trotz oder gerade wegen ihres einnehmenden Wesens fasste Inken ein gewisses Vertrauen zu der älteren Frau.
„Nun komm schon herein, oder willst du etwa hier festwachsen? Wir haben schließlich noch etwas zu tun, oder?“ Energisch schob Tjalda ihren Gast durch eine der Türen hindurch, die von der Diele abgingen.
Das Innere des Hauses passte nicht zu seiner Besitzerin. Alles war klein und irgendwie vornehm. Tjalda dagegen sah gewöhnlich aus, so gewöhnlich wie jeder Matrose am Hafen. Sie war schlank, nicht sehr groß und sehr einfach gekleidet. Sie trug eine graue Bluse und Hosen, die zu tragen sich für jede anständige Frau, die etwas auf sich hielt, verbot. Außerdem hatte sie keine Haube auf dem Kopf, wie es bei Älteren üblich war. Stieß sie ihre Kunden damit nicht vor den Kopf? Um sie nicht länger anzustarren, betrachtete Inken das Gemälde eines Segelschiffes in voller Fahrt. Das Bild war so lebensecht, dass man vermeinte, den Wind in den Segeln singen zu hören.
„Gehörte meinem Vater“, erklärte Tjalda unaufgefordert, „ist mit Mann und Maus abgesoffen.“ Trotz des burschikosen Tonfalls hörte Inken Betroffenheit und Trauer aus ihren Worten heraus.
„Aber reden wir nicht länger von mir.“ Mit einer nachlässigen Handbewegung wischte Tjalda ihre Gefühle beiseite. „Cirk sagte, du musst ins Moor fliehen?“
Inken nickte, und ihr wurde bewusst, dass sie noch kein Wort gesprochen hatte. Auch Tjalda schien dies zu bemerken.
„Warum sagst du eigentlich nichts? Bist du taub?“
„Sie wissen ja schon alles, wozu also noch Worte verlieren?“ Inkens Ton war schnippisch. Es missfiel ihr gründlich, dass Tjalda sie schon erwartet hatte. Dieser Schmuggler war sich also sicher gewesen, dass sie seinen Ratschlag annehmen würde. Sie spürte die Neugierde in Tjaldas Blick. Was mochte Cirk nur über sie erzählt haben? Ob er noch hier war? Suchend wanderten ihre Augen durch den Raum.
„Wenn du nach Cirk suchst – der ist schon fort. Musste sich ja verstecken – du weißt warum! Und ich habe ihm einen sicheren Unterschlupf besorgt. Da werden die Häscher lange suchen können, diese Strohköpfe!“ Sie grinste zufrieden.
Tjalda wies auf einen Ledersessel und bedeutete Inken, sich zu setzen. Dann ging sie nach draußen, erschien kurze Zeit später wieder mit Tee und Kuchen und setzte sich Inken gegenüber an einen großen Schreibtisch, über dem das Bild eines Mannes und einer jungen, hübschen Frau mit hellem Haar und einem Kleid aus edlem Stoff hing. Die beiden sahen glücklich aus.
„Mein Vater und ich!“ Wieder hörte Inken die Trauer in Tjaldas Worten. Tief beugte sich diese vor und blickte ihr direkt in die Augen.
„Überleg dir gut, ob du dein Herz an Cirk verschenken willst. Er ist ein Seemann, und das Meer ist ein furchtbarer Gegner. Es kann dir den Mann rauben, den Freund und den Vater!“ Sie machte eine Pause und seufzte. „Auch wenn das Meer freundlich aussieht und Sonnenstrahlen aufdem Wasser tanzen, ist dies nur eine Maske. Wie eine Spinne lauert die kalte Flut auf ihre Opfer und macht Frauen frühzeitig zu Witwen und Kinder zu Waisen. Das hab immer vor Augen, wenn du dein Herz an einen Seemann verschenkst. Aber“ – sie blickte Inken eher mitleidig an – „das Herz lässt sich nicht befehlen. Es liebt, wen es will, nicht wahr?“
„Wer sagt denn überhaupt, dass ich mein Herz an diesen Schmuggler verschenken will?“, fuhr Inken die Geldverleiherin an.
Tjalda legte den Kopf zur Seite. „Er selbst sprach davon, dass es ihm gehört.“
Inken verschlug es die Sprache.
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