Die Friesenrose
später Vormittag, als die Reiter endlich ihr Ziel erreicht hatten, und Cirks Blick schweifte über die gelbbraunen Felder voller Heu zu der im Tal liegenden Stadt. Die Pferde nutzten die Gelegenheit zum Grasen und gaben jedes Mal, wenn sie an dem üppigen Gras zupften, zufrieden schnaubende Geräusche von sich. Die Luft war erfüllt vom Duft sommerlicher Weiden, und Cirk spürte voller Freude, wie die Sonne seine Haut wärmte.
Bereits gestern waren sie mit der Marie , dem Schiff, über das sein Freund Thomas das Kommando führte, in London angekommen. Thomas hatte seinen Auftrag zur Zufriedenheit ausgeführt und im Anschluss daran den Wunsch geäußert, noch ein paar Tage bei seiner Familie zu verbringen. Sein Auftraggeber hatte ihnen daraufhin kurzerhand Pferde aus seiner Stallung überlassen. Cirk liebte das Reiten, genau wie sein Freund. Es war einfach etwas anderes, als die Heimfahrt in einer stickigen Kutsche anzutreten.
Für einen kurzen Moment schloss Cirk die Augen und gab sich ganz dem Genuss von Wärme und Freiheit hin. Besonders Letztere empfand er als Geschenk, denn er hatte es Thomas zu verdanken, dass die Sonne ihre Strahlen nun auf ihn hinabschicken konnte. In allerletzter Sekunde war es dem Engländer gelungen, ihn aus den Fängen der Franzosen zu befreien, und dies auch nur dank einer Finte. Cirk lachte beim Gedanken daran laut auf.
„Was amüsiert dich denn so?“ In Thomas’ Augen blitzte es neugierig. „Ich wette, du stellst dir gerade die Gesichter der Franzmänner in dem Moment vor, in dem sie statt deiner nur eine verschnürte Strohpuppe in ihrem Beiboot vorgefunden haben.“
„Richtig“, nickte Cirk bestätigend. „Da glauben sie, den fetten Fisch schon an der Angel zu haben, und dann kommt ausgerechnet einer der verhassten Engländer und schnappt ihnen die Beute vor der Nase weg. Aber“ – Cirk wurde unvermittelt ernst – „es war verdammt knapp, mein Freund. Innerhalb kürzester Zeit bin ich diesen Kerlen nun schon fast zum zweiten Mal in die Hände gefallen.“
„Man sagt eben nicht umsonst, dass du wie eine Katze sieben Leben hast“, meinte Thomas bedeutungsvoll.
„Glaub mir, es war jedes Mal nur Glück“, entgegnete Cirk trocken. „Und jedes Mal hat ein anderer den Hals für mich riskiert. Ich denke, ich sollte mein Schicksal nicht so bald wieder herausfordern und erst einmal hier in England bleiben.“
„Wer hat dich denn vor mir aus der Schlinge gezogen? Kenne ich ihn?“ Neugierig beugte Thomas sich vor.
„Es war eine Sie“, antwortete Cirk und wünschte sich im gleichen Moment, die Worte zurückgehalten zu haben. Er konnte und wollte im Augenblick einfach mit niemandem über dieses Mädchen sprechen. Hoffentlich hakte Thomas nicht weiter nach! Wie jedes Mal, wenn er an das Zusammentreffen mit Inken dachte, fragte Cirk sich ärgerlich, wie er sich nur so lächerlich hatte aufführen können? Aber es war das für ihn typische Verhalten gewesen, das er immer an den Tag legte, um seine Unsicherheit zu überspielen, sobald er sich bedrängt fühlte oder etwas seine Seele berührte. Und seine Seele war an jenem denkwürdigen Abend vom ersten Augenblick an von dieser faszinierenden Frau berührt worden. Also hatte er den Clown gespielt und war großspurig aufgetreten. Bei jeder anderen Frau wäre das vielleicht nicht weiter schlimm gewesen. Da war ihm diese Maskerade schon fast zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Meisten sahenin ihm eh nur den Helden und Draufgänger, eine Rolle, die er nur zu gerne spielte und mit der er dafür sorgte, dass ihm kein weibliches Wesen zu nahe kam. Aber Inken war keine Frau wie die anderen! Das hatte er gleich gewusst! Cirk schloss die Augen und sah, wie so oft in den letzten Tagen, ihr Bild vor sich. Kopfschüttelnd stieß er die Luft aus, als erneut Teile ihrer letzten Unterhaltung in sein Bewusstsein traten.
„Ich gefalle dir, du gefällst mir“, hörte er sich sagen. „Für eine brauchbare Gefährtin bist du mir allerdings ein bisschen zu widerspenstig.“ Cirk duckte sich wie unter einem unsichtbaren Schlag hinweg. „Dein Temperament muss ich noch zügeln, außerdem kommt es mir so vor, als ob es dir an Erfahrung fehlt. Nun, dem können wir schnell abhelfen.“
Wie hatte er nur derart platt sein können? Dafür gab es keine Entschuldigung! Dieses Mädchen war nicht eine von jenen Frauen, mit denen er sonst seine Spielchen trieb. Was musste sie nur von ihm denken? Dieses Mädchen – Cirk lächelte grimmig in sich
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