Die Friesenrose
Dann jedoch brach sich ihre Empörung Bahn. „Wie kann dieser freche Kerl nur so etwas behaupten. Ein einziger Kuss, und schon bildet er sich wer weiß was ein. Glauben Sie ihm kein Wort.“
Tjalda zog eine Augenbraue hoch. „Nein? Sollte ich nicht? Sei’s drum. Schluss mit meiner Lebens- und deiner Liebesgeschichte. Wir befinden uns hier schließlich nicht im Beichtstuhl. Du willst ein Geschäft mit mir machen, habe ich Recht?“
„So ist es.“ Inken nickte. „Cirk hat Sie mir als ehrlich und anständig empfohlen. Ich möchte, dass Sie Geld für mich aufheben.“
Tjalda stützte die Ellenbogen auf den Tisch. „Und ich möchte, dass du zunächst einmal das Sie sein lässt. Natürlich kann ich das Geld für dich aufheben. Die Meisten wollen allerdings, dass ich ihnen Geld leihe. Und eigentlich siehst du ebenfalls so aus, als könntest du etwas Bares gut gebrauchen. Warum soll ich das Geld für dich anlegen?“
„Musst du das wissen?“ Inken blickte der Geldverleiherin herausfordernd ins Gesicht.
„Nein, aber ich möchte es gerne wissen.“ Tjalda schenkte Tee ein und rückte dann ihren Stuhl zurecht.
„Ich muss ins Moor fliehen, das hat Cirk richtig erkannt. Die Schwester meines Vaters, Tante Tine, lebt in Großefehn. Ihr Mann verwaltet dort für die Obererbpächter das Compagniehaus. Doch Onkel Eggo, bei dem ich Aufnahme zu finden hoffe, ist ein Lump. Was glaubst du, würde er als Erstes tun, wenn ich Geld bei mir hätte?“ In Inkens Stimme schwang Bitterkeit mit.
Tjalda verschränkte ihre Arme vor die Brust. „So ist das also. Gut, das ist ein Grund. Hast du keine andere Möglichkeit, als bei diesem Lumpen Unterschlupf zu finden?“
Inken schüttelte den Kopf. „Außerdem wohnt dort noch meine Tante, die sehr nett sein soll. Es ist ja auch nur für kurze Zeit. Was glaubst du, wie lange die Franzosen bei uns noch das Zepter führen werden?“
„So lange, wie die Ostfriesen es zulassen! Bis zu einem gewissen Grad lassen sich die Menschen hier beugen. Sie stören sich nicht an den wechselnden Regierungen, sondern führen ihr Leben unabhängig davon. Es interessiert sie nicht, ob der Bürgermeister jetzt Maire genannt wird oder die Verwaltungsaufgaben nun von Beamten in französischen Uniformen wahrgenommen werden. Es interessiert sie so lange nicht, wie sie das Wesentliche, ihre Freiheit, nicht im Kern bedroht sehen. Und im Augenblick merken meine Landsleute noch nicht, dass Napoleon diese schon mächtig untergräbt. Unsere alten Namen gelten nichts mehr. Gleichbleibende, erbliche Familiennamen will dieser selbsternannte Kaiser einführen. Und wenn du heiraten willst, muss dies vor dem Maire geschehen. Gottes Segen ist nur noch zweitrangig. Unsere Maße und Gewichte werden abgeschafft – du siehst, der Kaiser bemüht sich redlich, unseren Widerstandsgeist zu wecken.Und die Ostfriesen werden sich erheben! Napoleon unterschätzt uns, und das wird ihn teuer zu stehen kommen. Aber wann er zahlen muss, weiß niemand.“ Sie schaute Inken offen an. „Doch mein Weitblick hilft uns wenig. Im Augenblick ist nur von Interesse, was ich mit deinem Geld anfangen soll.“
Inkens Blick war verständnislos. „Es aufheben natürlich, bis ich es wiederhaben will. Notfalls zahle ich auch dafür.“
Tjalda schüttelte den Kopf. „Mädchen, ich bin doch diejenige, die zahlen muss. Du hast sicherlich schon einmal etwas von Zinsen gehört.“ Inken nickte zögernd. „Also, solange du mir dein Geld überlässt, zahle ich dir Zinsen dafür. Und da ich eine ehrliche Haut bin, bezahle ich auch einen gerechten Zins.“ Den letzten Satz hatte Tjalda geradezu grimmig ausgestoßen. „Gerade das ist vielen Männern dieser Stadt ein Dorn im Auge“, fuhr sie wieder etwas ruhiger fort. „Ich bin nicht wie diese Geldwechsler am Hafen, die den Seeleuten Summen leihen und sie danach zu einem horrenden Preis wieder zurückfordern. Meinen Verdienst lege ich immer gleich zu Anfang schriftlich fest, sodass später keiner überrascht sein kann. So, jetzt weißt du, mit wem du es zu tun hast. Und nun möchte ich gerne wissen, worin ich dein Geld anlegen soll!“
Sie bemerkte Inkens Unsicherheit und seufzte. „Also, es gibt beispielsweise die Möglichkeit, sich an Fischkuttern zu beteiligen. Ich kann dein Geld aber auch in die Finanzierung eines Ladens oder einer Werft stecken. Manchmal zahle ich Seeleuten Vorschüsse auf ihre Heuer. Auch dazu könnte ich dein Geld verwenden. Bislang war allerdings am meisten mit Anlagen in
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