Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
Vom Netzwerk:
befindliches Paradies. Auch in China gab es bunte Menschenmengen und reges Treiben auf den Märkten. Aber das Leben war wohl geordnet. Auf die Einhaltung vieler Regeln wachten die Verantwortlichenmit geschwollenem Kamm, und jeder wusste, was er zu tun hatte. In China galten Zurückhaltung und Freundlichkeit als die größten Tugenden. Die Chinesen wurden nur selten laut. Es galt als unschicklich, die Stimme zu erheben. Vor allem ergriffen Kinder nur das Wort, wenn sie dazu aufgefordert wurden.
    Sumi hatte sich damals gefragt, ob sie sich wohl jemals an den Lärm gewöhnen könnte. Während der ersten Tage an dem fremden Ort hatte sie sich unendlich elend gefühlt. Es war ihr, als habe sie nicht nur ihre Heimat und ihre Familie verloren, sondern auch ihre Gliedmaßen. Sie war wie versteinert gewesen. Als der Mond das erste Mal wechselte, war sie dann doch eines sehr frühen Morgens an der Hand des geliebten Mannes am Wasser entlangspaziert. In ihrem Seidengewand, das den Phönix zeigte, fühlte sie sich so fremd und wenig zugehörig wie der Feuervogel selbst. Bis ein leichter Nebelschleier aufgezogen war und sie in der auf ihn folgenden Stille nur das Plätschern des Wassers hatte vernehmen können. Welch ein Balsam für die beschwerte Seele. Diese Ruhe hatte Sumi bewusst gemacht, dass es auch in Amsterdam Momente gab, in denen sie sich wohlfühlen konnte. Danach war es ihr mehr und mehr gelungen, Nischen für sich zu finden, Nischen, die ihr Kraft und Ruhe schenkten. Und wenn das Heimweh sie dennoch zu überwältigen drohte, griff sie stets nach einer Tasse Tee und der Hand ihres Geliebten. Und eines Tages war das Unfassbare dann geschehen: Sie hatte diese fremde Welt lieben gelernt. Doch von dem langen Weg bis dahin wollte sie jetzt nicht berichten. Sumi wandte sich wieder den Freunden zu, die geduldig darauf warteten, dass sie fortfuhr.
    Bonné war gedanklich noch immer bei ihrer Ankunft in Amsterdam. „Wie haben die Menschen dich damals empfangen?Ihnen sind doch sicherlich fast die Augen aus dem Kopf gefallen! Eine Chinesin auf einem Teehandelsschiff! Da hast du dich sicher vor neugierigen Fragen kaum retten können, oder?“ Bonné beugte sich vor, um nur ja nichts zu verpassen.
    Sumi senkte den Blick. „Wie gerne hätte die Chinesin Fragen beantwortet oder auch nur einen Gruß erwidert. Wir sehr hatte diese gutgläubige Chinesin gehofft, die Menschen in der Heimat des geliebten Mannes würden sie mögen, zumindest akzeptieren. Doch so war es nicht. Es begann schon am Anlegeplatz. Ketten rasselten, Taue flogen durch die Luft, und vom Kai herauf riefen Menschen. Die ersten Beleidigungen trafen an das Ohr dieser traurigen Frau, noch bevor sie einen Fuß an Land gesetzt hatte. Mit dem Finger wurde auf sie gezeigt, und in Abneigung verzogen die Menschen das Gesicht. Und so ist es eigentlich all die Jahre geblieben. Die Familie des geliebten Mannes verstand die Welt nicht mehr, als sie eine Chinesin an seiner Seite sahen. Keine guten Wünsche begleiteten uns, nur die Hoffnung, dieses verzweifelte Geschöpf würde sich in Luft auflösen oder doch zumindest ihrem Mann keine Kinder schenken. Der zweite Wunsch hat sich leider erfüllt.“ Sumi tat einen tiefen Atemzug. „Und sogar der erste Wunsch in gewisser Weise. Allerdings ganz anders, als die Familie des Mannes dieser unglücklichen Chinesin geglaubt hatte. Nicht diese unerwünschte Frau löste sich in Luft auf, sondern ihr geliebter Mann war so unsäglich wütend und traurig über das Unverständnis seiner Familie, dass er den Kontakt zu ihr völlig abbrach. Lange Zeit war diese besorgte Frau unglücklich deswegen. In China gilt es als großes Verbrechen, sich von seiner Familie loszusagen. Die Verwandtschaft ist ein Heiligtum. Doch es gab keinen anderen Weg, um gemeinsam glücklich werden zu können, das begriff dieses dumme Geschöpf dann eines Tages. Und Glückwurde ihr trotz aller Angriffe von außen geschenkt. Die Liebe blieb unversehrt. Sie wurde tiefer und größer, und bis heute hält diese trauernde Frau täglich Zwiesprache mit dem geliebten Mann.“ Wärme durchströmte Sumi, wenn sie an Willem dachte. An sein Lachen, das stets so laut und fröhlich gewesen war, dass die Pfannen und Töpfe über dem Herd geklappert hatten. Wie er sie immer wieder in seiner überschäumenden Art in seine Arme geschlossen, ihr Gesicht zwischen seine großen Hände genommen und glücklich gelächelt hatte. Willem war es gewesen, der sie das Küssen lehrte. Seine Liebe

Weitere Kostenlose Bücher