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Die Friesenrose

Die Friesenrose

Titel: Die Friesenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Oltmanns
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hatte sie gewärmt, auch wenn die Luft um sie beide herum manchmal eiskalt gewesen war. So war es in ihrem Herzen ruhig geworden, auch wenn die Welt vor Unruhe schier zerbersten wollte.
    „Hast du jemals daran gedacht, wieder zurückzukehren? Ich meine nach China?“ Tjalda maß die Freundin mit einem prüfenden Blick.
    Diese schüttelte den Kopf. „Nein! Die verehrten Freunde dieser unwürdigen Frau müssen wissen, dass es in China den Menschen nicht genügt, zu leben. Wichtiger, als geboren zu werden, als zu leben, ist die Ehre.“ Die Chinesin blickte Tjalda tief in die Augen. „Diese Frau wird niemals wieder nach China zurückkehren können, da sie keine Ehre mehr hat. Ihre Schande ist es, mit einem nicht für sie erwählten Mann geflohen zu sein. In China werden Ehen von Heiratsvermittlern gestiftet – zuweilen schon vor der Geburt der zukünftigen Eheleute. Manchmal ist so ein Vertrag sehr nützlich. Auf diese Weise werden in China verfeindete Familien wieder miteinander versöhnt.“ Tjalda schnaubte verächtlich, doch Bonné warf ihr einen Blick zu, der sie schweigen ließ. „Die ausgewählte Frau muss ihre Familie verlassen und gehört nach der Heirat zur Familie des Mannes, dessen Ahnen sieverehren und dessen Eltern sie gehorchen muss.“ Sumi hob die Hände in einer leicht verzweifelten Geste zum Gesicht. „Diese Frau hat so sehr geliebt, dass selbst ihr Tod in den Augen der verehrten Eltern sie nicht von ihrem Vorhaben abhalten konnte. Sie hat die Ehre verloren, und ihre Schande wird über alle künftigen Generationen kommen, die aus ihrer Person hervorgehen. In den Augen der Chinesen hat diese sündige Frau ihr Leben verwirkt und ihr Gesicht verloren. Sie wäre nur mehr ein Geist unter den Lebenden und dürfte weder den Kopf noch das Wort erheben.“
    „Das ist ja unglaublich. Die Ehre, das Leben verloren zu haben, nur weil man seinem Herzen gefolgt ist“, brauste Tjalda auf und wollte schon fortfahren, als Sumis Blick sie zurückhielt.
    „So ist das nun einmal“, erwiderte sie fest. „Die Chinesen sind an ihre Ahnen gebunden. Was der Einzelne tut, betrifft die Ehre aller. Die Nachfahren dieser Frau würden in den Augen der Chinesen in der Welt der Geister niemals ihren Frieden finden, genauso wenig wie diese sündige Frau. Und ein ungünstiges Schicksal darf man willentlich keinem Menschen aufbürden.“
    „Also musstest du schon um deiner fehlenden Ehre willen in Amsterdam bleiben“, stellte Tjalda mit trauriger Stimme fest.
    Sumi nickte. „Diese Frau wollte aber auch bleiben und sehnte sich nicht nach dem, was sie verloren hatte. In China wäre sie eine Tote gewesen, das mindert den Schmerz darüber, die gelbe Erde der Heimat niemals wiederzusehen. Wenn die Verzweiflung diese damals so traurige Chinesin überfallen wollte, dann suchte sie Hilfe bei einem chinesischen Sprichwort: ,Aus dem Wald vermeintlicher Schande führen viele Wege der Ehre.‘“
    „Auch wenn du in den Augen der Chinesen tot bist“ – Inken maß Sumi mit einem liebevollen Blick –, „bist du für mich lebendiger als viele andere.“
    Sumi neigte dankend den Kopf in ihre Richtung. „Diese Frau hat in China keine Ehre mehr, aber die Ehre gegenüber ihrem geliebten Mann trieb sie dazu, ihm eine gute Frau sein zu wollen. Es waren glückliche Jahre, auch wenn die Götter uns nicht immer gaben, was wir wünschten. Aber manchmal ist das, was wir uns wünschen, vielleicht auch gar nicht so wichtig und entspricht in keinster Weise dem, was die Götter für uns vorgesehen haben. Der Mann dieser Chinesin wünschte sich nur ein gemeinsames Leben in Frieden. Er eröffnete in Amsterdam eine Kruiderrie nach dem Vorbild seines Großvaters und lebte für den kleinen Laden. Diese nicht sehr nützliche Chinesin half im Hintergrund, so gut sie konnte. Das Haus, in dem sie mit ihrem geliebten Mann damals wohnte, war eines jener vielen Kanalhäuser, schmal und hoch und mit einem geschmückten Giebel.“
    Sumi verstummte und verlor sich wieder in ihren Gedanken. Wie gerne hätte sie ihrem geliebten Willem weitaus mehr helfen wollen, und wie wenig nützlich war ihre Anwesenheit gewesen. Doch davon wollte sie nicht erzählen. Warum auch an alten Wunden rühren? Ihre Bemühungen, den Laden mit Dingen aus ihrer Heimat zu verschönern, waren vergeblich gewesen. Die Menschen hatten lachend mit den Fingern auf Zimbeln und Gongs, bemalte Seidenlaternen und Drachenbanner gezeigt. Willem hatte ihre Glücksbringer geliebt und starrköpfig und

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