Die Frucht des Bösen
sich die Kehle auf. Und schleppt dann seine Opfer nach draußen in die Loggia? Das ergibt keinen Sinn. Die Blutspuren verraten, dass seine Kehle im Schlafzimmer seiner Schwester aufgeschnitten wurde. Klein, wie er war, hätte er nicht die Kraft gehabt, die Mutter oder den Vater durchs Haus zu schleifen.»
«Damit wären wir wieder bei Patrick», meinte Alex. «Gemäß dieser Logik kommt nur er in Betracht.»
D. D. schob ihren Teller beiseite. «Und warum habe ich das Gefühl, dass er’s nicht war?»
«Weil wir unsere Nachbarn manchmal einfach nicht verstehen, nicht einmal dann, wenn alle Fakten auf der Hand liegen.»
D. D. seufzte. «Und jede Wette, dass wir auf offene Rechnungen stoßen, wenn wir uns die Finanzen der Familie genauer ansehen. Aber jetzt werden wir erst mal der Schule der Kinder einen Besuch abstatten, Denises Arbeitsplatz und dem ehemaligen Arbeitgeber Patricks.»
«Wir sollten uns auch mal in der psychiatrischen Klinik umsehen, in der Ozzie behandelt wurde.»
«Ich dachte, wir hätten Ozzie ausgeklammert?»
Alex zuckte mit den Achseln. «Wer weiß? Wir müssen alle Möglichkeiten offenhalten.»
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9 . Kapitel
Danielle
Lucy ist kurz vor drei entwischt.
Ich hätte es kommen sehen müssen. Am frühen Morgen war sie auffallend ruhig. Gegen acht aß sie trockene Cheerios, ohne mit dem Geschirr um sich zu werfen. Um acht Uhr dreißig verzog sie sich auf ihr Zimmer und ließ das Spielzeugauto mitgehen, das Benny im Flur liegengelassen hatte. Sie hat es wahrscheinlich unters Kinn geklemmt und ist auf allen vieren von einer Ecke ihres Zimmers in die andere gekrochen. Dann wird sie das Ding durch die Luft geschleudert haben wie eine Katze eine tote Maus.
Benny heulte, weil er sein Auto nicht finden konnte, hörte dann aber schlagartig auf, als er sie in ihrem Zimmer sah, splitternackt und mit strahlendem Lächeln im Gesicht. Sie spielte weiter – auf ihre Art, das heißt, sie bewarf ihn mit Kot.
Trotzdem fand ich, dass sie Fortschritte machte.
Wir zwingen unsere Kinder zu nichts. Sie müssen weder duschen noch essen, Zähne putzen oder sich anziehen, denn wir wissen, dass diese Kinder aufgrund besonderer Reizempfindlichkeiten bestimmte Dinge nicht ertragen können. Für manche ist Duschen eine Folter, weil sie jeden einzelnen Wassertropfen wie einen Stich in die Haut wahrnehmen. Aus unterschiedlichen Zwängen heraus können manche nur tiefgefrorenes Essen zu sich nehmen, andere nur Brei oder eingepackte Lebensmittel. Und wegen ihrer beschränkten sozialen Fähigkeiten können einige Kinder keine zwei Schritte tun, ohne mit anderen Kindern Streit anzufangen.
Die Hauptproblemfelder sind Körperhygiene und Nahrungsaufnahme. Aber für viele ist schon das Aufstehen am Morgen äußerst schwierig.
Wir sind im Umgang mit unseren Kindern sehr großzügig. Wir sagen ihnen, was wir mit ihnen vorhaben und dass es schön wäre, wenn sie mitmachen würden. Und dass wir gern bereit sind, ihnen dabei zu helfen: Sagt uns, was ihr braucht. Gemeinsam schaffen wir es.
Manche Eltern lehnen uns ab. Sie sehen in unserer Station eine Art Sommerlager, das den Launen ihrer Sorgenkinder Tür und Tor öffnet.
Natürlich sind viele dieser Eltern genauso traumatisiert wie ihre Kinder, weil sie von ihnen jahrelang getreten, geschlagen, gebissen und angeschrien wurden. Ich weiß von einer Frau, die von ihrer Zehnjährigen zum Muttertag ein selbstgemaltes Bild geschenkt bekommen hat, auf dem sie, von Messerstichen durchbohrt, am Boden liegt. Darunter stand:
Stirb, du Schlampe.
Ein Teil der Eltern möchte, dass ihr Kind für seine Taten endlich zur Rechenschaft gezogen und bestraft wird, dass wir es zur Räson bringen. Doch das tun wir nicht. Wir lassen unsere Kinder fernsehen, geben ihnen Videospiele und erlauben ihnen, mit Rollschuhen durch den Flur zu laufen.
Wir befassen uns mit akuten Fällen. Unser Ziel ist es, Aggressionen abzubauen und dafür zu sorgen, dass ein Kind einen Tag herumbekommt, ohne in die Luft zu gehen. Wenn dann schließlich mit ihm «gearbeitet» werden kann, versuchen wir, das Verhalten dieses Kindes verstehen zu lernen und einen Hilfeplan auf längere Sicht zu erstellen.
Es gibt zwei Fragen, die wir mit jedem Kind gemeinsam zu beantworten versuchen:
Was geht in deinem Kopf vor, das dir nicht guttut (kognitive Störungen)? Was
sollte
darin vorgehen, damit es dir bessergeht (kognitive Mängel)?
Wenn wir darauf eine Antwort haben, sind wir einen großen Schritt
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