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Die Frucht des Bösen

Die Frucht des Bösen

Titel: Die Frucht des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Mutter starb, als er drei war.»
    «Worin äußerten sich denn seine Probleme?», fragte D. D.
    «Ozzies sprachliche und soziale Fähigkeiten waren unterentwickelt. Im Alter von acht Jahren zeigte er autistische Verhaltensweisen: Er mied den Blickkontakt mit anderen, schaukelte stundenlang mit dem Oberkörper vor und zurück und gab dabei unverständliche Laute von sich.»
    «Wie Rain Man?», fragte D. D. und machte sich Notizen.
    «Die Figur ‹Rain Man› deckt nur ein paar Aspekte des gesamten Spektrums autistischer Störungen ab», antwortete die Krankenschwester trocken. «Und wir sprechen von einem breiten Spektrum. Auf Informationen aus Hollywood sollten Sie sich nicht verlassen. In Ozzies Fall konnten wir Züge diagnostizieren, die weniger mit Autismus zu tun haben als mit Techniken der autosuggestiven Beruhigung, die sich viele schwer vernachlässigte Kinder selbst beibringen. Ozzie war ein Wolfskind.»
    «Nicht Rain Man, sondern Tarzan?», mischte sich Alex ein.
    Danielle warf ihm einen kritischen Blick zu.
    «Unter Wolfskindern verstehen wir Kinder, die keine Pflege erfahren und sich deshalb nicht normal entwickeln. Stellen Sie sich vor, ein Säugling schreit und nichts passiert. So ein Kind bildet keine Sprache aus, entwickelt keine Bindung und entwickelt kein Gefühl der Zugehörigkeit zu seiner Umgebung. Es verkümmert mental, ist sprachverzögert und sozial gehandikapt – wie Ozzie.»
    «Sie sagten, seine Mutter wäre drei Jahre nach der Geburt gestorben», meinte D. D. «Nach unseren Informationen war er mehrere Wochen allein mit der Leiche in der Wohnung –»
    «Zehn Wochen, um genau zu sein. Während dieser Zeit ernährte sich Ozzie von Cornflakes, ungekochten Nudeln, kurzum, von all dem, was er in den Schränken finden konnte. Er konnte offenbar schon früh gut klettern und schaffte es bis hinauf zum Wasserhahn über dem Spülbecken. Ein richtiger Überlebenskünstler. Bevor sie starb, war seine Mutter wahrscheinlich krank, Tage oder Wochen. Das heißt, Ozzie musste sich über einen sehr viel längeren Zeitraum selbst versorgen. So erklärt sich seine Verwilderung.»
    «Kein besonders schöner Start ins Leben», fasste D. D. zusammen. «Aber dann schalteten sich die Behörden ein und …»
    «Er kam von einer Pflegefamilie in die nächste. Er hatte schon sieben oder acht hinter sich, als er bei den Harringtons landete.»
    «Warum ausgerechnet bei den Harringtons?»
    «Da müssen Sie bei den zuständigen Stellen nachfragen. Ich weiß nur, dass die Eltern Denise und Patrick einen sehr guten Eindruck auf uns machten. Manche Pflegeeltern entscheiden sich ganz bewusst für ein Kind, das besonderer Zuwendung bedarf. Sie haben meist schon Erfahrung mit solchen Kindern, weil sie vielleicht selbst behinderte Geschwister hatten oder in sozialen Einrichtungen arbeiten. Manche glauben einfach, solchen Anforderungen gewachsen zu sein, und möchten sich beweisen.»
    «Und wie stand es um Denise und Patrick?», fragte D. D.
    «Ich glaube, sie hatten keine Vorstellung davon, was auf sie zukommen würde», antwortete die Schwester geradeheraus. «Aber sie wollten Ozzie unbedingt helfen. Sie waren wohl sehr religiös und entschlossen, Gottes Willen auf Erden zu verwirklichen.»
    D. D. machte sich wieder eine Notiz. Die Aussage der Schwester deckte sich mit den Äußerungen der Nachbarn.
    «Ozzie hatte also einen psychotischen Schub. Was bedeutet das?»
    «Er hat sich die Kleider vom Leib gerissen, mit einem Hammer auf Einrichtungsgegenständen herumgeschlagen und Morddrohungen ausgestoßen. Wäre ihm jemand in die Quere gekommen, hätte er ihn wahrscheinlich verletzt. Ein Kind, das dermaßen in Wut gerät, ist nicht mehr erreichbar, weder mit Worten noch mit liebevollen Gesten, geschweige denn mit Vernunft. Hat es sich wieder beruhigt, fehlt ihm oft jede Erinnerung an das, was es getan hat, nicht einmal dann, wenn es den Familienhund verprügelt oder seinen Lieblingsteddybären zerrupft hat. Verdrängung ist die beste Strategie in solchen Fällen, während die anderen Mitglieder der Familie, vor allem die Geschwister, wegen posttraumatischer Stresssymptome therapiert werden müssen.»
    Auch das notierte sich D. D.
Wer hat die Harringtons therapiert?
In Therapiegesprächen kam einiges zutage …
    «Was passierte nach Ozzies Aufnahme bei Ihnen?»
    Danielle zuckte mit den Achseln. «Wir versuchten es mit Aripiprazol, was häufig zur Behandlung von Schizophrenie und bipolaren Störungen verschrieben wird.

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